Church of Science

Die letzten Tage dachte ich oft an früher – an die 1970er und 1980er. Die Nachrichten drehten sich um die Außenpolitik, um die wirtschaftliche Lage in Deutschland, die RAF und um die wirklich wichtigen Themen – neue Filme im Kino, Schallplatten-Veröffentlichungen, neue Theaterstücke mit ihren Skandalen, neue Bücher und ganz viel Tratsch. Im Vermischten schließlich auf der letzten Seite der Süddeutschen fand sich immer eine kleine Rubrik, die meistens mit den Worten begann: „Amerikanische Wissenschaftler haben herausgefunden ….“ Ich fand das immer sehr erheiternd, diese Meldungen aus einer vollständig fremden Welt mit ihren skurrilen Inhalten.

Das hat sich vollständig geändert. Mit dem Einzug des Waldsterbens, der Umweltkatastrophen und  der Erderwärmung in die gesellschaftliche Debatte gewann auch die Wissenschaft im öffentlichen Diskurs an Bedeutung. Wir lernten viel über den sauren Regen, über Quecksilber in den Flüssen und Frostschutzmittel im Wein, über Methan und Kohlendioxid und die Zusammensetzung der Erdatmosphäre, über Sonnenflecken, über Alpha-Strahlung und Becquerel und vieles mehr.

Mich prägte das sehr und ich empfand die Wissenschaft als einen Weg in die Aufklärung. Wir wussten immer mehr über die Zusammenhänge unserer Welt und unseren Beitrag in diesen Zusammenhängen. Ich lernte gerne dazu und mein Gefühl für die Verantwortung wuchs, die ich gegenüber der Welt habe. Ganz konkret war meine Generation die erste, die den Müll trennte, in meiner Kirchengruppe veranstalteten wir Basare mit gebrauchten Dingen, wir reparierten Fahrräder, die wir auf den Kirchentagen zum Verleih anboten, „Jute statt Plastik“ war mir ein sympathischer Slogan und ich begann beim Einkaufen auf die Herkunft der Lebensmittel zu achten. Biologisch, regional, saisonal produziert und fair gehandelt, das ging mir in Fleisch und Blut über.

Mein Urvertrauen in die Wissenschaft wurde erschüttert im Zusammenhang mit dem Waldsterben. Die Tatsachen, die zum Sterben einiger Wälder am Südhang des Erzgebirges führten, wurden sehr stark emotional aufgeladen. Die Untersuchungsergebnisse wurden manipuliert, auf seltsame Arbeit extrapoliert und hochgerechnet. Es stimmte einfach hinten und vorne nicht mehr. Mir ist schon klar, dass weniger Umweltgifte prima sind, das weiß ich als Radfahrer, der sich in den brüllheißen Sommern Münchens in der abgasgeschwängerten Luft der Schwanthaler Straße eine saftige Portion bleihaltiger Abgase einverleibte und als Schwimmer in der Isar, der froh war, als die Einleitung der Fäkalien im Oberlauf beendet wurde.

Der Punkt ist, die Wissenschaft wurde zum Werkzeug der Politik. Die Wissenschaft baute ein Bedrohungsszenario nach dem anderen auf (die Erde verglüht, die nächste Eiszeit kommt), die Fördermittel für die angewandte Forschung wuchsen, die Wissenschaft griff beherzt zu und lieferte das Gewünschte: Prognosen aus einer Zukunft, die wir garantiert nicht erleben wollen. Die Politik pfiff sich eins und begann mit in Verordnungen und Gesetze gegossene Verhaltensänderungen. Ich sage es noch einmal: Ich erfreue mich einer Welt, in der keine alten Kühlschränke und Autoreifen im Wald entsorgt werden, in der kein Ölwechsel in der heimischen Garage erlaubt ist. Wissen Sie, warum sich die Menschen daran halten? Weil die Strafen brutal hoch sind – zu Recht.

Was nicht geht, ist eine Wissenschaft, die sich unlauterer oder unsauberer Methoden bedient, um Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen und sie damit der Politik als willfährige Lämmer zuführt. Ja, die wissenschaftliche Darbietung der Fakten zur Corona-Krise ist erbärmlich. Wir erfahren nichts über Vergleichswerte der Sterblichkeit aus den Vorjahren, wir haben keine Vergleiche innerhalb der Altersklassen, wir wissen nicht, wer wann wo getestet wird, wir unterscheiden nicht das Mit und An Corona gestorben. Lustigerweise sinkt die Infiziertenrate immer montags, einfach weil am Wochenende weniger getestet wird – hallo, ist das wissenschaftlich? Der demographische Wandel – heute leben mehr ältere Menschen als vor fünf und vor zehn Jahren in Deutschland wird bei der Übersterblichkeit nicht eingerechnet. Wir wissen nichts über den Anteil der Getesten zur Grundgesamtheit und deren statistische Verteilung innerhalb dieser. Ist die Stichprobe normalverteilt, wie ist sie zusammengesetzt, wo weicht ihre Zusammensetzung von der Grundgesamtheit ab?

Stattdessen gibt es den R-Wert, Inzidenz-Zahlen, erschröckliche exponentielle Kurven und Graphen, abstruse Vergleiche mit anderen Ländern mit vollständig anderen Lebensbedingungen (Infrastruktur, medizinische Versorgung, Bildungsstand der Bevölkerung, Bevölkerungsdichte, Altersverteilung) und als Höhepunkt der Wissenschaftlichkeit eine siebenseitige Erklärung der Leopoldina – davon zwei Seiten mit einer Auflisten der „Mitwirkenden“. Zum einen fällt spontan auf, die Erklärung hat keine Autoren, sie hat nur Mitwirkende, zum anderen die bunte Mischung der Professionen.

Die fünf Seiten lesen sich flott und sie lesen sich wie eine Handlungsanweisung zur Eindämmung der Pandemie. Die Leopoldina hat ohne bekennende Autorenschaft die Aufgabe der Politik übernommen. Die Politik ist nur mehr willige Vollstreckerin und in diesem Fall sogar im vorauseilenden Gehorsam noch härter in der Vollstreckung als sie die Schließung der Geschäfte nicht erst zum 24. Dezember sondern bereits zum 14. Dezember vornahm. Die Fleißbildchen der Wissenschaft sind der Politik sicher.

Lesen Sie die Ad-hoc-Stellungnahme der Leopoldina einfach selbst:

Tief beeindruckend in der Ad-hoc-Stellungnahme ist der Vergleich mit Irland, ein Land, das mit dem unseren ja nahezu 1 zu 1 vergleichbar ist oder Belgien. Die rapide fallenden Zahlen in anderen Ländern – in Frankreich, Italien und Spanien, den Horrorländern des Frühjahrs 2020 – werden weder erwähnt geschweige denn erklärt.

Sehen Sie die aktuellen Fallzahlen in anderen Ländern einfach selbst. Google macht es möglich:

Ich sag es mal so: Wenn Wissenschaft glaubwürdig bleiben will, dann muss sie ihre Aufgabe ernsthaft angehen und sie muss bei ihren Leisten bleiben. Unser Land wird seit Monaten von der Ministerpräsidentenkonferenz regiert – ein Gremium, das im Grundgesetz nicht als Entscheidungsorgan vorgesehen ist – unser Land wird ohne parlamentarische Kontrolle und den Einbezug des Parlaments regiert und aktuell driften wir ab in eine Parawissenschaftlichkeit, die nur die Fakten heranzieht, die ihr passen. Das macht mich wirklich schaudern. Die Dominanz der Wissenschaft ist genauso bedrohlich wie die Dominanz der Religion oder des Neoliberalismus.

Deshalb werde ich mir jetzt keinen Aluhut basteln, keine Querdenker-Videos reinpfeifen oder bei illegalen Glühwein-Raves mitgrooven. Das mit dem Maske tragen, Abstand halten und Lüften ist schon in Ordnung. Die grundlegenden Hygieneregeln mit dem Händewaschen und so und nicht im Gesicht rumfummeln weiß ich seit meiner Kindheit. Bitte, liebe Wissenschaft, manipuliert mich nicht, sondern klärt mich auf!

Leider geht die Entwicklung in der Politik hin zum Wissenschaftlichen und damit reflexartig zum Alternativlosen – ich sage bewusst leider – denn die Auswüchse einer alles überformenden Wissenschaft erleben wir bereits im Rahmen der Klimadebatte mit so schönen Zuschreibungen von Menschen als Klimawandel-Leugner und dem Postulat, man wisse jetzt alles und müsse nicht mehr forschen. Liebe Wissenschaft, ich möchte nicht an euch glauben, ich möchte euch vertrauen.

Stefan Theßenvitz

Wiesentheid, 16. Dezember 2020