Interaktionen und das Selbst

Der philosophische Streit, was denn der Mensch sei – was ihn ausmacht, währt seit Jahrhunderten. Die einen sagen, der Mensch ist ein Wesen mit einem autonomen Selbst, er schöpft aus sich selbst heraus. Die anderen sagen, der Mensch ist der Knotenpunkt seiner Interaktionen. Meine bescheidene Lebenserfahrung reflektierend habe ich noch nie einen Menschen getroffen, der aus sich selbst heraus irgendetwas geschaffen hätte. Alle kreativen und schaffensfrohen Menschen waren und sind dicht eingewoben in ein Netz aus Menschen, Anregungen, Rückkopplungen, Widerspruch und Aufmunterung, sie sind umgeben von Wissen, dessen sie sich bedienen.

Deine Identität wächst und gedeiht mit der Summe der Interaktionen, denen Du Dich aussetzt und denen Du ausgesetzt wirst. Natürlich braucht es immer auch die Ruhephasen, das Hinaustreten aus dem Lauten um in sich zu gehen und die innere Stimme zu hören und dann erschaffen Menschen etwas Neues.

Ich fürchte, wenn wir uns auf die Suche nach unserer autonomen Identität machen, werden wir herb enttäuscht werden. Denn so viel ist da nicht. Identität aus sich selbst heraus ist ein Irrtum. Wir Menschen – unser Bewusstsein und unsere Handlungsimpulse – sind gebunden an unsere Knotenpunkte und unsere Interaktionen.

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Auszug aus dem Buch: Zur Sonne, Zur Freiheit | Das kleine Handbuch für ein gelingendes Leben“, Stefan Theßenvitz, 260 Seiten, 36 Euro. Im Webshop erhältlich: https://shop.thessenvitz.de/produkt/zur-sonne-zur-freiheit/