Die Leichtigkeit des Seins

Die Leichtigkeit unseres Daseins deformiert nicht wenige Menschen, einfach weil das Wohlleben sehr bequem ist. Ein berühmtes medizinisch wissenschaftliches Beispiel ist – neben der pawlowschen Konditionierung – die Geschichte von den (un)angeleinten Hunden im geteilten Käfig, dessen eine Hälfte unter Strom gesetzt wird. Sind die Hunde zu lange angeleint gewesen, ertragen sie die Schmerzen, obwohl sie den Käfig wechseln könnten.

Genau das passiert auch mit uns Menschen. Wenn wir zu lange deformiert gelebt haben, dann empfinden wir diese Deformation als normal. Wir kaufen uns dann im übertragenen Sinne die Anzüge, die unsere Deformation kleiden (Ausreden, Opfer-Geschichten, nicht Wollen-Können und nicht Können-Wollen Argumente). Das bequeme Leben hat uns lebensuntüchtig gemacht. Besser gesagt, wir haben es zugelassen.

Meine Erfahrung ist, die meisten Menschen leiden an Unterforderung, nicht an Überforderung. Unser Leben ist so unfasslich leicht im Vergleich zu unseren Vorgängergenerationen und jede und jeder kann wirklich alles erreichen. Am Rande hinzugefügt: Gerade in dieser Leichtigkeit des Seins liegt die große Gefahr verborgen, dass man es sich zu leicht macht. Unsere Welt war noch nie so offen und so frei, die Wahlmöglichkeiten waren noch nie so groß, erstklassiges Wissen war noch nie so nah. Auch das ist neben den bestehenden Unterschieden und Ungleichheiten eine Tatsache.

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Auszug aus dem Buch: Zur Sonne, Zur Freiheit | Das kleine Handbuch für ein gelingendes Leben“, Stefan Theßenvitz, 260 Seiten, 36 Euro. Im Webshop erhältlich: https://shop.thessenvitz.de/produkt/zur-sonne-zur-freiheit/