Die Geschichte des dritten Buches „Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik“ beginnt zweimal. Im Laufe der Recherchen für die ersten beiden Bücher „Nachhaltig wirtschaften im 21. Jahrhundert“ und „Nachhaltig wirtschaften in der Praxis“ und deren Niederschriften entstand viel Begleitmaterial, das sich zwar thematisch in das Thema Nachhaltigkeit fügte, aber nicht in den Kontext der jeweiligen Bücher.
Eine wesentliche Erkenntnis aus den ersten beiden Büchern ist: Unternehmen arbeiten immer im System – sie arbeiten innerhalb einer Rahmenhandlung bestehend aus geltendem Recht, Normen und kulturellen Vereinbarungen. Die Gesellschaft und die Politik können diese Rahmenhandlung neu definieren, sie arbeiten am System.
Aus dieser Erkenntnis entstand nach und nach die Idee, dieses bereits in Skizzen vorliegendes Begleitmaterial unter der Perspektive Gesellschaft und Politik zu subsumieren und in ein drittes Buch zu packen. Während der Arbeit an dem dritten Buch erschien das zweite Buch „Nachhaltig wirtschaften in der Praxis“ und wir zogen protzstolz los und begaben uns auf die Ochsentour.
Im letzten halben Jahr öffneten sich uns mit unserem Anliegen viele Türen, auch in der Politik, und wir freuten uns auf die sich daraus ergebenden Möglichkeiten, hier starke Bündnispartner zu finden, das Konzept und die Werkzeuge für das nachhaltige Wirtschaften mit politischer Unterstützung und Fürsprache in konkrete Taten zu übersetzen – insbesondere mit und für mittelständische Betriebe, die in regionalen Bezügen arbeiten.
Entlang dieser konkreten Erfahrungen mit der Politik – von der Kommunalpolitik bis zur Bundespolitik – und wir sprechen hier ausschließlich von Regierungsparteien auf kommunaler Ebene, auf Landes- und Bundesebene beginnt das dritte Buch zum zweiten Mal. Die Rückmeldungen sind in der Tat bemerkenswert, was im Folgenden in Auszügen zu Protokoll gegeben sei, und vor allem, damit gewann das dritte Buch etwas an Schärfe.
Fünf Beispiele mögen das Spektrum der politischen Verfasstheit aufzeigen, innerhalb derer die proklamierte Transformation unseres Landes hin zu einer nachhaltig agierenden Gesellschaft und Wirtschaft stattfinden soll. Beginnen wir ein besonders schön formuliertes Bekenntnis zur Nachhaltigkeit aus dem Mund eines Bürgermeisters*, mit dem wir mehrere offizielle und informelle Gespräche führten. Abschließend meinte er*: „Damit befasse ich mich, wenn ich in Rente bin.“
Ein Gemeinderat* polterte uns nach der Lektüre an: „Nehmen Sie erstmal den Kopf aus den Wolken und kommen Sie mit den Füßen in der Wirklichkeit an. Werden Sie erstmal erwachsen.“ Das empfand ich, der letztes Jahr in die 61te Runde seines Lebens ging, auch als Kompliment, nach wie vor so viel jugendliche Unbekümmertheit auszustrahlen. Und es erinnerte mich tatsächlich an meine Jugend, in der mir friedensbewegt im Parka in einer Einer-Welt-Initiative mitarbeitend immer wieder genau diese wütend-schroff-zurechtweisende Soundwolke an unserem kirchlichen Basar entgegengroovte.
Die uns Ende Februar! entgegengebrachte Aussage eines Mitarbeiters* im politischen Regionalmanagement – „das sollten wir nach der Sommerpause weiterbearbeiten“ – ist dialektisch dicht dran an dem Rententext. Auch hier spürt man körperlich die aus der täglichen Arbeit resultierende Erschöpfung im Dienst am Gemeinwohl, die keinen anderen Blick als den aus der Froschperspektive im Angesicht des zu verrichtenden Tagesgeschäfts ermöglicht. Das ist der bewährte Sound des Sachzwangs, der alternativlos zur völligen Erschlaffung jeglicher Imagination führt.
Begeben wir uns anekdotisch auf die politische Landesebene und bleiben wir bei körperlichen Empfindungen. Nach einigen Annäherungen und Anbahnungen führten wir schließlich ein einstündiges Gespräch mit einem Landespolitiker*, der uns immer wieder versicherte, wie dicht dran er am Thema sei mit der Nachhaltigkeit. Dessen Versicherungen waren gefüllt mit lebensprallen Erinnerungen an die schöne Jugendzeit, in der man selbstverständlich bereits auch schon so getickt habe. Als wir dann gesprächsweise auf die Zielgerade einbogen mit der Frage, was denn mit Unterstützung der Landespolitik konkret möglich sei, da wurde auch der Landespolitiker konkret: „Meine Kollegen bekommen bei dem Wort Nachhaltigkeit Würgreiz.“
Beschließen wir die Exkursionen in die Verfasstheit der Politik – zur Erinnerung: wir berichten ausschließlich von Gesprächen mit Politikern* in Regierungsverantwortung – mit einem Diskurs auf Bundesebene. Im Zuge unserer Arbeit mit Unternehmen wissen wir aus erster Hand, welche Programme diese zur Förderung des Nachhaltigen Wirtschaftens nutzen oder welche Programme für sie in Frage kommen. Hier geht es nicht um Subventionen, es geht schlicht um fachliche Unterstützung im komplexen Dickicht der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Die Stichworte dazu: Scope 1, 2 und 3 – die Profis wissen, was ich meine.
Eines dieser Programme lief jahrelang super und seit einem Jahr fast nicht mehr, einfach weil die Bundesmittel und das muss man so sagen, brutal zusammengestrichen wurden. Aus acht produktiven Vollzeitstellen wurde über Nacht eine Teilzeitstelle. Seitdem wird das Programm, dessen inhaltliche Durchführung die Unternehmen aus eigener! Tasche bezahlen, nicht mehr nachgefragt. Aus der den Diskurs abschließenden Antwort des Wirtschaftsministeriums: „Wir werden uns weiterhin für die nachhaltige Transformation in der Wirtschaft einsetzen. Wir möchten Anreize zum fossilfreien Wirtschaften setzen und werden uns dafür auch fortlaufend einsetzen.“ Ach ja? Dann wünschen wir uns bitte Butter bei die Fische.
Der Politik auf allen Ebenen sei gesagt: Wir haben in den letzten Jahren sehr viele mittelständische Unternehmen kennengelernt, die sich auf den Weg des nachhaltigen Wirtschaftens begeben und dafür enorme Kraft, Zeit und Geld investieren. Das Einzige, was an allen Ecken und Enden fehlt ist ein konzertierter politischer Wille, einen verlässlichen Rahmen zu schaffen, die Kräfte der freien Wirtschaft zu koordinieren und zu bündeln und auch ein wenig Geld in die Hand zu nehmen – letztlich zum Wohl unseres Landes (gut, das ist etwas pathetisch aber an dieser Stelle gestattet). Wir befinden uns nach den vielen Gesprächen auf politischer Ebene gleichermaßen ernüchtert und wohlauf. Wir sind frohen Mutes, ihn* irgendwo und irgendwann zu treffen: den Politiker* mit Tatkraft, das nachhaltige Wirtschaften zu befördern.
Unsere geschilderten Erlebnisse sind keinesfalls eine Pauschalkritik in Richtung Politik und Politiker*. Es gibt die Guten, das wissen wir. Es gibt wunderbare Beispiele, dass es miteinander gelingen kann, nachhaltig zu wirtschaften. Viele Gemeinden in Deutschland sind bereits mit intelligenten Lösungen energieautark. Es gibt Unternehmen, die in Regionalverbünden klug miteinander wirtschaften. Deren Ideen und Konzept reichen bis hin zu Maschinenringen und regionalen Wertschöpfungsketten. Es gibt Gemeinden, in denen das bürgerschaftliche Engagement sehr gut funktioniert. Es gibt Regionen, die klug mit ihren Ressourcen umgehen – bis hin zur Nutzung des Gebäudebestandes.
Es sind einfach noch zu viele Politiker*, die aus welchen Motiven heraus auch immer das alte Spiel spielen. Es sind einfach viel zu wenige Politiker*, die sich ins Neue trauen, es sind viel zu wenige, die eine verbindende Idee formulieren und dort konkret wirksam werden, wo sie gestellt sind. Leider ist der Begriff Nachhaltigkeit im politischen Diskurs mittlerweile verbrannt. Die damit verbundenen Konnotationen sind Schuld, Strafe, Verbote, Verzicht, Fremdbestimmung. All das ist grundfalsch und auch Teil des alten Spiels – teile und herrsche. Nachhaltigkeit bedeutet mitmachen, miteinander arbeiten, kluge Lösungen, sachbezogener Diskurs, Verantwortung, Regionalbezug, konkrete Verbesserungen, Wohlstand und Wohlfahrt.
Unser froher Mut speist sich auch aus dem Wissen aus Interviews und Diskussionen mit Menschen aller Couleur, aus Dokumentationen und Befragungen im Rahmen unserer Arbeit, aus der Sozialforschung und belegbaren Fakten des Verbraucherverhaltens aus unserer Marktforschung: Die Gesellschaft ist so weit: Sie will mit weit überwiegender Mehrheit in einem Land leben, das den nachhaltigen Lebensstil befördert – zum Wohle aller. Ihre stärksten Mitstreiter:innen finden sie in verantwortlich handelnden – meist mittelständischen – Unternehmen. Was zu tun bleibt: Wir müssen die Politiker* druckvoll ermuntern, sich hier einzuhaken und in die gleiche Richtung mitzuziehen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Dir eine vergnügliche Lektüre des Buches „Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik“. Möge es ein Anstoß sein, gemeinsam bessere Lösungen für ein gedeihliches Miteinander zu finden. Nachhaltigkeit ist wie alles im Leben eine Machtfrage. Wer macht´s?
Ihr
Stefan Theßenvitz
Das Buch gibt es in meinem Webshop als einmalige und limitierte Schmuckauflage: https://shop.thessenvitz.de/produkt/nachhaltigkeit-in-gesellschaft-und-politik/
*Selbstverständlich beinhaltet das hier verwendete generische Maskulinum die Möglichkeit aller Geschlechter. Gestatten Sie dieses bitte aus Gründen der Anonymisierung. Es genügt völlig, wenn sich die jeweils angesprochenen Personen in den Zitaten wiedererkennen.