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Cargo-Kult Management

Der Cargo-Kult | kleine Einführung

Auf den nordöstlich von Australien gelegenen Inseln – von Neuguinea über das Bismarck-Archipel, die Fidschi-Inseln und Neukaledonien reichend und Melanesien genannt – flammt immer wieder eine Bewegung auf, die wir den Cargo-Kult nennen.

Der Cargo-Kult hat vermutlich seinen Ursprung im Zusammenhang mit der Entdeckung der Inseln 1770 durch James Cook. Den Einwohnern der Inseln müssen die fremden Männer mit den großen Schiffen wie Götter vorgekommen sein. Die fremden Männer führten herrliche, nie geschaute Dinge mit sich, neuartiges und wunderbares Frachtgut (englisch Cargo). Springen wir in das 20te Jahrhundert …

Mit dem Kriegseintritt der Amerikaner in den zweiten Weltkrieg im Dezember 1941 stationierten diese in den Folgejahren hunderttausende Soldaten im Pazifik, auch in Melanesien. Diese Soldaten mussten versorgt werden. Mit Kleidung, Lebensmitteln, Dingen des täglichen Bedarfs und mit Kriegsmaterial. Die Amerikaner legten Militärbasen an und schufen Flugplätze für die Flugzeuge mit der wichtigen Fracht. Oder sie warfen die Fracht einfach an Fallschirmen hängend über den Inseln ab. Mit dieser Fracht wurden sowohl die Soldaten als auch die Einheimischen überreichlich versorgt.

Als der Krieg vorbei war, verließen die amerikanischen Soldaten ihre Stützpunkte. Die Flughäfen wurden geschlossen, die Frachtflut versiegte mit einem Schlag. Die Einwohner begannen, das Verhalten der Soldaten zu imitieren, in der Hoffnung, der Cargo-Segen würde wieder zu regnen beginnen. Die Einwohner schufen eigene Landepisten für Flugzeuge, bauten große Flugzeuge aus Holz, Bambus und Stroh, errichteten Flughafentower, dort trugen sie selbst geschnitzte Kopfhörer aus Holz, setzten Signalfeuer mit Fackeln und Lagerfeuern, patrouillierten mit Holzprügeln, schrieben sich die Buchstaben U, S und A auf die Brust und vieles mehr.

Die Einwohner imitierten das Verhalten der Soldaten in der Hoffnung, dass auch sie in den Genuss von materiellen Wohlstand gelangen – ohne Arbeit. Das ist der Kern des Cargo-Kults.

Der Dreiklang des Cargo-Kults

John Frum ist der Messias, er kommt irgendwann wieder … und er wird Geschenke dabeihaben. Der Name John Frum leitet sich vermutlich aus den rudimentären Gesprächen ab, die die Amerikaner mit den Einwohnern führten. Hi, I´m John from … Illinois, Chicago, Detroit, Atlanta … viele Amerikaner hießen und heißen landauf-landab mit Vornamen John …

Der Cargo-Kult ist das Imitieren von Handlungen und die Schaffung von Symbolen (z.B. Flugzeuge aus Bambus, Kopfhörer aus Holz) für materiellen Wohlstand ohne Arbeit.

Custom ist das Beibehalten der eigenen Riten (Tanzen, Singen, Frauen teilen bzw. Polygamie, Männerhierarchie usw.)

Warnhinweis: der folgende Abschnitt ist SATIRE. Ich durfte im Rahmen von einigen selbst gehaltenen Vorträgen erleben, dass die Zuhörer die Regeln für bare Münze genommen haben. Häufiger O-Ton der Zuhörer während oder nach des Vortrages: “Genau das machen wir doch.” (im Sinne von ‘alles ist in bester Ordnung’.)

Das Cargo-Kult-Management (CKM)

Aus dem Cargo-Kult leitet sich das Cargo-Kult-Management ab. Die Ingredienzien sind die gleichen: die Handlungen sind formal richtig, der zur Schau getragene Habitus und Aktionismus sind perfekt choreografiert und das Handeln erzeugt nicht die gewünschte Wirkung – materieller Wohlstand ohne anstrengende Arbeit.

CKM-Regel 1

Stellen Sie die Vergangenheit wieder her (gerne auch falsch oder unvollständig) und dann versuchen Sie, die gleichen Ergebnisse wie in der „guten alten Zeit“ zu erhalten. Ziehen Sie nur die Beweise heran, die Ihre Überzeugungen und Wünsche bestätigen. Beschaffen Sie sich voreingenommen Informationen, interpretieren Sie diese voreingenommen und erinnern Sie sich voreingenommen an die Informationen.

Aus dem CKM-Qualitätshandbuch: „Das Erhalten der Fracht beruht auf der Verwendung von speziellen Holzstäben, damit die Flugzeuge landen.“

CKM-Regel 2

Scheitern Sie daran, die Ursache für ein Ergebnis zu ermitteln. Beharren Sie auf dem Irrtum: die Korrelation beweist die Ursache. Begehen sie den Fehler, dass zwei korrelierende Ereignisse die Ursache für das jeweils andere Ereignis sind. Ignorieren Sie andere miteinander korrelierende Ereignisse. Ziehen Sie nur Einflüsse oder Faktoren hinzu, die Ihre Analyse bekräftigen.

Beobachtung: der Hahn kräht, die Sonne geht auf.
Daraus folgt: der Hahn ist dafür verantwortlich, dass die Sonne aufgeht.

CKM-Regel 3

Ignorieren Sie, wie die Praxis tatsächlich funktioniert. Trainieren Sie den Dunning-Kruger-Effekt (bleiben Sie relativ inkompetent, überschätzen Sie Ihr eigenes Können und unterschätzen Sie die Kompetenz anderer Menschen.) Sie lernen nichts dazu und wollen nichts Neues wissen. Üben und perfektionieren Sie Gesten der Überlegenheit, der Abgeklärtheit und des Durchblicks. Vermitteln Sie stets, dass Sie eine Idee und einen (großen) Plan haben.

CKM-Regel 4

Vertiefen und stärken Sie Ihre Überzeugungen, wenn Sie widersprüchliche Aussagen finden.
Verweisen Sie andere auf ihre gedanklichen Fehlzündungen. Lehnen Sie Beweise ab, die sich im Widerspruch zu Ihrem Glauben befinden. Ergreifen Sie Maßnahmen, Ihren Glauben zu stärken. Laden Sie andere ein, Ihrem Glauben zu folgen. Beginnen Sie eine Diskussion über Grundsätzliches.

CKM-Regel 5

Achten Sie ausschließlich auf Erfolge und ignorieren Sie Misserfolge. Ziehen Sie nur Schlussfolgerungen aus den Erfolgen von Menschen. Beziehen Sie sich nur auf Geschichten, die gut ausgingen. Ignorieren Sie Versagen, Misslingen und Scheitern.

Aus einem CKM-Motivationstraining: „Jeder baut Landebahn-Attrappen. Ich werde Ihnen helfen, eine zu bauen – sonst werden Sie nie Flugzeuge anlocken.“

CKM- Regel 6

Kopieren Sie ein Vorgehen (Strategie, Rezept), einfach weil es viele andere auch tun. Springen Sie auf den Zug auf, da immer mehr Menschen auf den Zug aufspringen. Ignorieren Sie deren Gründe oder die Rahmenbedingungen.

CKM-Regel 7

Entwickeln Sie Ihre Vorlieben für Bekanntes. Kultivieren Sie das Motto:. “Better the devil you know.” “Man weiß was man hat, aber nicht was man bekommt.“ „Von zwei Übeln wählt man besser das, was man schon kennt.“ Entscheiden Sie sich für vertraute Methoden, auch wenn sie für die anstehenden Aufgaben ungeeignet sind.

CKM Regeln für Fortgeschrittene

  • Überschätzen Sie die Zahl der Menschen, die Ihren Einschätzungen und Entscheidungen zustimmen.
  • Bleiben Sie unfähig, neutral und objektiv über eine Sache nachzudenken, in der Sie richtig gut sind (der Fluch des Wissens).
  • Ziehen Sie aus einer Information verschiedene Schlüsse. Interpretieren sie über.
  • Missbrauchen Sie spielerische oder Labor-Situationen, um Rückschlüsse über das echte Leben zu erhalten oder es (noch schlimmer) zu gestalten.
  • Schreiben Sie sich jeden Erfolg auf Ihre Fahne. Jeder Misserfolg ist unglücklichen Umständen oder der Unfähigkeit anderer geschuldet.
  • Bleiben Sie fest in dem Glauben, dass Sie Dinge erklären können, nur weil Sie deren Namen kennen.

CKM im Managementalltag

  • Wenn Sie etwas nicht verstehen, dann verpacken sie es in einfache Botschaften (Zwei- oder Drei-Wort-Sätze), in Parolen mit Rufezeichen (Gerechtigkeit!) oder in Schlagwörter (TEAM)
  • Wenn Sie etwas nicht können, dann kaufen Sie es zu.
  • Wenn Sie etwas nicht vermögen, dann lassen Sie es auf Tassen drucken.
  • Kreieren Sie Facebook-Likes als Beliebtheits-Illusion zur Vorspiegelung von Bekanntheit und Relevanz.

Beliebte CKM-Schlagworte (unvollständig)

  • Team
  • Innovate
  • Change
  • Win Win (Win)
  • Synergie(-effekt)
  • Design Thinking
  • Agil
  • Benchmarking
  • Best-Practice

Beliebte CKM Ersatzhandlungen (statt Arbeit)

  • Studien erstellen (lassen)
  • Arbeitskreise und Ausschüsse gründen
  • Leitbilder entwickeln
  • Leuchtturmprojekte initiieren
  • Fusionieren, Kooperieren, Synergien herstellen
  • Abstimmungen über Innovationen
  • Kick-Off-Meetings, Brainstorming
  • Neues Logo, Corporate Design
  • Englische Wörter verwenden
  • Konferenzen, Symposien und Tagungen
  • Meetings und Workshops NEU: Breakout-Sessions ohne Konsequenzen für den Alltag

Zum Schluss

Cargo-Kult-Management ist eine große Lüge.

  • Die Lüge heißt: es ist ganz leicht.
  • Die Wahrheit lautet: es ist harte Arbeit.

Herzlich willkommen im Club der klaren Denker und kraftvollen Macher,

Ihr Stefan Theßenvitz