Weltweit betrachtet ist der Hunger ein sehr großes Problem. Die Website des BMZ zählt zwei Milliarden Menschen, die nicht jeden Tag genug Essen haben und es bilanziert weltweit Lebensmittel im Wert von über 400 Milliarden US-Dollar, die jährlich verderben. In Deutschland sprechen wir eher von Ernährungsarmut, Mangelernährung und insbesondere von Fehlernährung im Sinne von Überernährung.
Essen ist für uns Menschen mit Lust verbunden. Jede Handlung, die für unser Überleben – als Individuum oder als Art – von existentieller Bedeutung ist, verbindet unser Körper mit einem starken Gefühl, einem Trieb, einem unbedingten Willen. Wir müssen essen, um zu leben, doch wir empfinden meistens keinen Handlungsdruck in Form eines äußeren Zwanges, wir entwickeln einen gesunden Appetit und Vorfreude auf die nächste Mahlzeit.
Genetisch leben wir Menschen immer noch in einer Zeit der permanenten Knappheit, so wurden wir vor abertausenden Jahren programmiert. Damals wurde jede sich bietende Gelegenheit dankbar angenommen, sich satt zu essen und sich wann immer möglich einen Vorrat zuzulegen, ein Polster eben, denn man wusste nie, wann es wieder zu essen gab.
Männer speichern die überschüssige Energie eher als Fett zwischen den Organen vorzugsweise im Bauchbereich, um beim Jagen in ihrer Beweglichkeit und Schnelligkeit möglichst wenig behindert zu sein.
Bei Frauen legt sich das Fett eher unter die Haut von Bauch, Hüften und Oberschenkeln. Dadurch entsteht die typisch weibliche Silhouette. Das ist insofern praktisch, als damit auch deren Gebärmutter wirksam vor Kälte geschützt wird.
Diese uns in den Genen liegende Programmierung ist in Deutschland im Jahr 2023 fatal, denn Essen gibt es an jeder Ecke, an der Tankstelle und der Imbissbude, im Einkaufsmarkt, im Restaurant, im Café, in der Kantine oder als Lieferdienst. Wir entkommen weder dem Essensangebot noch unserem Fresstrieb – es sei denn, wir zügeln unsere Lust mit dem Großhirn und das erfordert dauerhafte Anstrengungen.
Hinzu kommt das Dilemma, dass die Fresslust vieler Menschen in den Industrienationen nicht weiß, welche Ernährung gesund für sie ist. Das Essverhalten ist durch die dauerhafte Versorgung mit hochverarbeiteten Lebensmitteln oftmals degeneriert. Die Fresslust ist konditioniert auf Essen, das uns schnell mit viel Energie versorgt, also Fleisch, Fett und Zucker und was unseren Appetit beflügelt, also Salz, Gewürze und Alkohol. Das wäre alles kein Problem, wenn diese Dinge knapp wären. Sind sie aber nicht.
Es ist immer wieder interessant, das Essverhalten von Kindern zu beobachten und zu analysieren. Jedes Kind wählt die ihm bekömmliche Nahrung innerhalb des kulturellen Kontextes und seiner genetischen Disposition, sofern es die Wahl hat. Kinder, die ihr Essen frei wählen dürfen, entwickeln sich besser als Kinder, denen bestimmtes Essen vorgesetzt wird. Allerdings entwickeln Kinder bereits im Mutterleib bestimmte Vorlieben für Geschmack und ihr Stoffwechsel passt sich dem der Mutter an .
Mangelnde Bildung erschwert Kenntnisse und Erkenntnisse und diese wiederum führen zu einem Konsumverhalten von Lebensmitteln, das Folgeprobleme nach sich zieht. Man kann sich sein Essen mit nicht verarbeiteten Lebensmitteln zubereiten (zum Beispiel Obst, Gemüse, Eier, Milch und frisches Fleisch), man kann leicht verarbeitete Lebensmittel (zum Beispiel Butter, Zucker, Salz, Brot, Käse, Nudeln und Pflanzenöl) und hochverarbeitete Lebensmittel hinzunehmen (zum Beispiel Süßigkeiten, Cerealien, Softdrinks, Tiefkühlpizza, Fertiggerichte und Instantsuppen) oder die nicht und leicht verarbeiteten Lebensmittel durch hochverarbeitete Lebensmittel ersetzen.
Je verarbeiteter Lebensmittel sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein dauerhafter und reichlicher Genuss dieser zu gesundheitlichen Problemen führt. Die Ursache finden wir in der Konfektionierung hoch verarbeiteter Lebensmittel der Industrie. Sie verwendet viel Salz, Zucker und Fett als Geschmacksträger, sie erhöht die Haltbarkeit der Lebensmittel mit Konservierungsstoffen und ersetzt gerne natürliche Inhaltsstoffe durch künstliche Inhaltsstoffe (zum Beispiel für Farbe, Geschmack und mehr Volumen).
Die Lebensmittelindustrie setzt bei ihren Produkten auf eine hohe Energiedichte bei geringer Nährstoffdichte und gleichzeitig maximal reduzierten Herstellkosten. Industrielle Lebensmittel werden mit manipulativer Werbung massiv in unser Relevant-Set gehämmert und sie haben einen niedrigen Sättigungseffekt. Die Folgen: man isst einfach zu viel; mit den sich daran anschließenden bekannten Folgen für das Wohlbefinden und die Gesundheit.
Insbesondere Menschen mit Bildungsdefiziten und schmalem Geldbeutel greifen signifikant häufiger zu industriell verarbeiteten Lebensmitteln. Die Markenprodukte der Lebensmittelindustrie suggerieren immer knapp an der strafbewehrten Lüge vorbei Wohlfühl- und Sorglos-Aspekte und animieren zum beherzten Zugreifen, nicht zuletzt mit dem Versprechen, damit ein wertvoller Teil der Konsumenten zu sein, die sich und ihren Lieben gerne viel Gutes gönnen. Die Wahrheit ist: Industrielle Nahrungsmittel sind ein Geschäftsmodell mit vielen Profiteuren.
Auszug aus dem Buch: Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik | Perspektiven, Spielregeln und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft der Spezies Mensch im schönsten Land der Welt – in Deutschland, Stefan Theßenvitz, 248 Seiten, 38 Euro. Im Webshop erhältlich: https://shop.thessenvitz.de/produkt/nachhaltigkeit-in-gesellschaft-und-politik/
© Abbildung erzeugt mit Hilfe von OpenAI, 2024, Stefan Theßenvitz