Nur Gefangenen gewährt man Privilegien

Ein guter Freund von mir – ein Gefängnisdirektor im Ruhestand und damals für die harten Jungs zuständig – kann sehr eindrücklich schildern, wie in einem geschlossenen System aus Bürgern Menschen werden und welche Regeln es zu beachten gilt, damit alles halbwegs friedlich bleibt im Knast. Strafgefangene haben nur eingeschränkte Bürgerrechte. Sie dürfen zum Beispiel nicht so einfach raus an die frische Luft, wenn ihnen danach ist, sie dürfen sich nicht ihre Zelle aussuchen und ihre Zelle kann jederzeit betreten und durchsucht werden. Auch die Klamottenfrage ist im Knast geklärt und der Speisenplan und die Aufsteh- und Essenszeiten.

Wie also macht man sich Menschen gefügig oder besser gesagt – zu Diensten – wenn sie keine Rechte haben? Man versorgt sie mit Privilegien. Wer brav ist, wer kooperiert, wer ab und an nützliche Hinweise gibt, wer sich nicht kloppt, bekommt zum Nachtisch Apfelkompott. Wer sich gut führt, darf früher wieder raus aus dem Knast. Was Strafgefangene rettet, ist ihr Wohlverhalten. Wohlverhalten wird belohnt, garstiges Verhalten – sich und andere schädigen – wird bestraft. Zugemessenes Wohlverhalten ist Ermessenssache, im Klartext: aus Wohlverhalten resultiert kein Rechtsanspruch. Deshalb wird mir immer bei „Privilegien“ mulmig, denn dann stimmt ganz grob was nicht.

Nun denn, dann halten wir unser Ohr mal an den Zeitgeist und hören zu, welcher Textur man sich bedient im Lande. Beginnen wir mit Katrin Göring-Eckardt, sie bekommt im November 2015 Menschen geschenkt (was für ein gruseliges Menschenbild ist das denn bitte?) und fahren wir fort mit einer kleinen Google-Recherche dann merken wir schnell, dass unsere Politiker:innen in den letzten Jahren immer weniger von Bürgern reden sondern von Menschen (insbesondere in europäischen Zusammenhängen).

Auf der Website von Angela Merkel fand sich der schöne Satz „Eine starke Wirtschaft ist Voraussetzung dafür, dass die Menschen gut und sicher in unserem Land leben.“ Das ist ein schöner Satz, wirklich, doch man hätte das auch anders formulieren können. Anders gefragt: Sind diese und andere Formulierungen Zufall oder einfach unbedacht oder scheint hier eine Haltung durch?

Kommen wir zum Refrain, den Privilegien. Corona legte hier wunderschön ein Denken frei, das sich trefflich zum Sinnieren eignete. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn lehnte Sonderrechte (Privilegien) für gegen das Coronavirus geimpfte Bürger ab. Dieser Gerechtigkeitsimpetus ist voll löblich. Doch sorry, Jens, hier geht es nicht um Privilegien, es ging um Bürgerrechte und wenn es nur die Bewegungsfreiheit war.

Friedrich Merz forderte, bereits Geimpften ihre Grundrechte zurückzugeben. Damit war er einen Schritt weiter, doch im Nebensatz glimmten die Freiheitsrechte auf, die man einräumen könne. Hallo Friedrich, Du nix einräumen Freiheitsrechte, ich will meine Bürgerrechte und meine Freiheit. Besonders schön an dem Wort Freiheit ist ja, dass es kleiner wird, wenn man es vermehrt. Freiheiten sind ganz was anderes als Freiheit.

Auszug aus dem Buch: Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik | Perspektiven, Spielregeln und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft der Spezies Mensch im schönsten Land der Welt – in Deutschland, Stefan Theßenvitz, 248 Seiten, 38 Euro. Im Webshop erhältlich: https://shop.thessenvitz.de/produkt/nachhaltigkeit-in-gesellschaft-und-politik/

© Abbildung erzeugt mit Hilfe von OpenAI, 2024, Stefan Theßenvitz