Schlagwort: Perspektive

Im Komfortzonen-Aschram

Im Zuge unserer kleinen Geburtstagesfetentournee durch Deutschland – die 1963er wurden 2023 alle 60 Jahre alt – ergaben sich viele Gespräche mit meinen Jugendfreunden, die ich teilweise seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hatte. Beispielgebend herausgehoben sei ein Gespräch mit einem Jugendfreund und seiner Ehefrau, beide in anspruchsvollen Heil- und Lehrberufen tätig, formal hochgebildet, abbezahltes Einfamilienhaus, gelegentliche Fernreisen, Wähler der Grünen, vegetarisch und alkoholfrei lebend, späte und intensiv liebende Helikoptereltern und zunehmende Achtsamkeit für ihre Work-Life-Balance.

Deren Einschätzungen über Deutschland und seine Perspektiven sind ernüchternd. Sie meinen, ihre Kinder werden noch ein schönes Leben führen, danach wird es auf der Erde für den Menschen unwirtlich, was aber nicht weiter schlimm sei, denn die Erde brauche den Menschen nicht und man sollte sich nicht so wichtig nehmen. Die beruflich vielreisende Ehefrau muss schnell Auto fahren, weil langsam fahren Zeit kostet und die einzige Lösung wäre eine Diktatur, doch Verbote will man nicht.

Vielen Menschen in meinem Alter geht es ökonomisch gut, doch dieses Wohlleben verengt deren Horizont. Meine Hypothese nach der Sommerreise und vielen Begegnungen mit Boomern: im Wohlstand wohnt kein Zukunftsimpuls. Schon klar, in bitterer Armut wohnt auch kein Zukunftsimpuls. Wer sich täglich für sein Überleben krumm schuftet, hat keine Energie für Weiter reichendes. Doch wenn der Mensch ein klein wenig zur Erkenntnis genötigt würde, Neues zu denken, dann wäre das schon von Vorteil.

So verbringen große Teile meiner Generation mit symbolischem Handeln und fühlen sich gut im veganen Café, ihrem Elektroauto und mit der Photovoltaik-Anlage auf dem Dach, sie machen ihre grünen Kreuze und kaufen den Enkelkindern die neu aufgelegten Abenteuer von Pippi Langstrumpf und dem Südseekönig.

Versuchen wir uns an der Nötigung, Zukunft zu denken. Dafür verlassen wir vorübergehend unsere Komfortzone. Das Denken von Zukunft beginnt idealerweise immer mit der Betrachtung von Tatsachen. Aus der Betrachtung von Tatsachen ergeben sich Perspektiven. Innerhalb der Perspektiven erkennen wir Spielregeln und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft der Spezies Mensch. Hinterfragen wir kritisch die Ergebnisse unseres bisherigen Tuns und nehmen unser Schicksal in die eigenen Hände.

Die als alternativlos akzeptierte Realität begünstigt das Abdriften in krude Ideologien und Handlungsmuster aller Art. Menschen erfinden zum Beispiel den sehr beliebten Cargo Cult, wirksames Handeln durch symbolisches Handeln zu ersetzen, unter anderem Schulstreiks für eine bessere Zukunft der Jugend – ich verzichte auf Bildung, um die Erde zu retten –, oder Talkshows, in denen Probleme elaboriert gemorpht werden. Damit verschwinden zwar die Probleme nicht, doch sie werden auf eine heimelige scheinintellektuelle Art unbegreiflich.

Es entsteht ein dialektisch vertracktes Irgendwie und Sowieso und ein Eskönnteauchallesganzanderssein, ein Gutdasswirdarübergeredethaben, ein Nurmeinemeinung und ein zuversichtlich lächelndes Wirbleibendran. Haltung und Gesinnung dominieren den Diskurs, nicht die Benennung von Tatsachen, geschweige denn konkrete Lösungen. Beispiel gefällig? Wir eiern seit Jahrzehnten um das nicht sagbare Tabu herum, dass die Integration gerade muslimisch geprägter Menschen in Deutschland auf breiter Front gescheitert ist, immer noch scheitert und bei unverändertem Denken und Handeln auch in Zukunft scheitern wird.

Auszug aus dem Buch: Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik | Perspektiven, Spielregeln und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft der Spezies Mensch im schönsten Land der Welt – in Deutschland, Stefan Theßenvitz, 248 Seiten, 38 Euro. Im Webshop erhältlich: https://shop.thessenvitz.de/produkt/nachhaltigkeit-in-gesellschaft-und-politik/

© Abbildung erzeugt mit Hilfe von OpenAI, 2024, Stefan Theßenvitz

Das Neue denken

Denken wir über das Denken des Neuen nach. Das klassische Management denkt in Eintrittswahrscheinlichkeiten von Zukünften und richtet die Strategie eines Unternehmens innerhalb dieser möglichen Zukünfte aus. Das klassische Management nutzt dafür die Szenariotechnik. Hierbei werden Management-Überlegungen aus der wahrscheinlichsten Zukunft mit ihren Chancen und Risiken abgeleitet. Daraus resultieren die Konsequenzen für das Unternehmen und dazu passende Lösungen für die Entwicklung von in dieser wahrscheinlichen Zukunft tragfähigen Geschäftsmodellen. Das klassische Denken agiert im System.

Das klassische Denken agiert IM System.
Das neue Denken agiert AM System.

Wir definieren zu Beginn unseres Denkens die erstrebenswerte Zukunft. Unsere Zukunft ist nachhaltig. An diesem Ziel richten wir unser Denken aus. Dieses Ziel – die nachhaltige Weltordnung – liegt außerhalb des bekannten Systems, sie ist etwas Neues. Dafür brauchen wir etwas Unerhörtes.

Wir brauchen den Mut, das Neue denken zu wollen, wir brauchen die Chuzpe, das Neue denken zu können und wir brauchen die Resilienz, dem Widerstand des Establishments gelassen entgegenzutreten. Denn eines ist jetzt schon klar, ein Freund der Mächtigen wird man damit nicht. Das neue Denken agiert am System. Unser neues Denken ist in eine Rahmenhandlung eingebettet. Alle Überlegungen gehen ins Offene. Das Offene bezieht sich auf den Gestaltungsraum in Deutschland.

Auszug aus dem Buch: Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik | Perspektiven, Spielregeln und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft der Spezies Mensch im schönsten Land der Welt – in Deutschland, Stefan Theßenvitz, 248 Seiten, 38 Euro. Im Webshop erhältlich: https://shop.thessenvitz.de/produkt/nachhaltigkeit-in-gesellschaft-und-politik/

© Abbildung erzeugt mit Hilfe von OpenAI, 2024, Stefan Theßenvitz

Unverhandelbare Grundsätze

Grundgesetz

Demokratische Verfasstheit

Gewaltenteilung

Rechtsstaatlichkeit

Pressefreiheit

Offene Gesellschaft

Verbindliche kulturelle Vereinbarungen

Auszug aus dem Buch: Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik | Perspektiven, Spielregeln und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft der Spezies Mensch im schönsten Land der Welt – in Deutschland, Stefan Theßenvitz, 248 Seiten, 38 Euro. Im Webshop erhältlich: https://shop.thessenvitz.de/produkt/nachhaltigkeit-in-gesellschaft-und-politik/

© Abbildung erzeugt mit Hilfe von OpenAI, 2024, Stefan Theßenvitz

Wehrhafte Demokratie

Die Prämissen, die handlungseinschränkenden unverhandelbaren Grundbedingungen aller Überlegungen für eine nachhaltig agierende Gesellschaft sind das Grundgesetz, die demokratische Verfasstheit des Staates, die Gewaltenteilung, die Rechtsstaatlichkeit, die Pressefreiheit, eine offene Gesellschaft und verbindliche kulturelle Vereinbarungen. Diese Prämissen sind die Grundbedingungen für Gemeinsinn, Fortschritt und Wohlstand – sozial, ökologisch und ökonomisch.

Jede Form von Ideologie oder autoritäre Systeme gleich welcher Art, auch über der demokratischen Verfasstheit Deutschlands stehende Institutionen sind ein Irrtum auf dem Weg in eine vom Volk getragene nachhaltige Gesellschaft. Eine offene Gesellschaft muss sich wirksam gegen alle Kräfte schützen, die innerhalb dieser deren Offenheit nutzend autokratische Systeme errichten wollen, um die offene Gesellschaft zu zerstören. Das gilt gleichermaßen für linksradikale wie rechtsradikale Gruppen – von Extinction Rebellion bis zu den Reichsbürgern – und den politischen Islam, der den Gottesstaat auf Grundlage der Scharia errichten will.

In diesen Kreisen wird oft von der Überwindung der Demokratie gesprochen, als ob die Demokratie nur eine Etappe zu einer nächst besseren Staatsform wäre. Autokratische Systeme sind es bestimmt nicht, denn sie verhindern und bekämpfen Offenheit. Deshalb muss die Demokratie sich vor diesen Entwicklungen schützen und diese bekämpfen und genau hier finden wir das Paradoxon. Eine wehrhafte Demokratie ist Teil einer offenen Gesellschaft.

Auszug aus dem Buch: Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik | Perspektiven, Spielregeln und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft der Spezies Mensch im schönsten Land der Welt – in Deutschland, Stefan Theßenvitz, 248 Seiten, 38 Euro. Im Webshop erhältlich: https://shop.thessenvitz.de/produkt/nachhaltigkeit-in-gesellschaft-und-politik/

© Abbildung erzeugt mit Hilfe von OpenAI, 2024, Stefan Theßenvitz

Offenheit braucht Grenzen

Wir müssen uns von der Mär des multikulturellen Miteinanders verabschieden und Herkunftskulturen nicht per se als gleichgewichtig willkommen heißen. Menschen aus archaischen Herkunftskulturen – gleich ob in Deutschland geborene oder zugezogene Menschen, gleich ob Biodeutsche oder Menschen mit Einwanderungserfahrungen, müssen ihr Verhalten umstandslos den kulturellen Vereinbarungen anpassen, sie müssen sich in Wort und vor allem in Tat integrieren.

Ihr Mindset mag nach und nach hinterhertrollen, entscheidend ist für alle in Deutschland lebenden Menschen ein staatsbürgerlich verträgliches Verhalten. Leider ist das Wort Leitkultur verbrannt, doch in der Sache geht es genau darum – es geht um verbindliche Werte und Verhaltensweisen für ein gutes Leben aller Menschen in Freiheit und Würde.

Bleiben davon abweichende Verhaltensweisen wie Gewalt auf den Straßen, Gewalt gegenüber Polizei, Feuerwehr, Andersgläubigen, anders Liebenden, Ärzten, Sanitätern und Pflegern, Gewalt in Ämtern und Behörden ohne Sanktionen, dann verabschieden wir uns von einem der Gemeinschaft dienlichen Konsens und öffnen autokratischen Fantasien Tür und Tor, die sich aus den Wohnungen hinaus auf die Straße und in den politischen Raum hinein ausbreiten.

Möchte ein aus Amerika stammender Mensch in Deutschland leben, dann muss er auf sein gewohntes Recht in Nevada, seine Waffe öffentlich mit sich herumzutragen, in Deutschland verzichten. Er darf erstmal gar keine Waffe besitzen, geschweige denn führen. Er muss sich dem deutschen Recht folgend ordentlich um eine Waffenbesitzkarte bemühen, und davor stehen erhebliche Hürden. So einfach ist das mit der kulturellen Vereinbarung und dem Zusammenleben von Menschen aus verschiedenen Herkunftskulturen.

Sehr aufgeschlossen zeigt sich jede offene Gesellschaft gegenüber differenzierten Ausdrucksformen der Herkunftskulturen beim Einkaufen, Essen, der Musik, der Kunst, der Literatur und all dem, was das Leben kulturell vielfältig bereichert. Das ist Multikulti nach meinen Geschmack.

Leider verspielen unsere Demokratien zunehmend ihre Legitimation, weil sie sich auch autokratischer Methoden bedienen. Ohne hier ein großes Fass aufzumachen, der weltweit sehr beachtete Sündenfall war die Errichtung des Gefangenenlagers der USA in Guantanamo auf Kuba, wo Menschen ohne Anklage, Rechtsbeistand und der Aussicht auf ein rechtsstaatliches Verfahren teilweise über viele Jahre gefangen gehalten und vorsichtig ausgedrückt grob behandelt wurden.

Das war ein Weckruf für die Autokratien – seht her, wenn es hart auf hart geht, dann handeln Demokratien genauso wie wir. Auch das klägliche Versagen der Europäischen Union in der Flüchtlingsfrage führte bereits zum abertausendfachen Tod im Schlauchboot auf dem Mittelmeer und in den Flüchtlingslagern und Asylbewerberheimen verenden die Hoffnungen auf ein gutes Leben aus eigener Kraft.

Ebenso muss erwähnt werden, dass eine Regierung, die dauerhaft am Willen des Volkes vorbeiregiert, es nicht einbezieht, den Mehrheitswillen ignoriert oder das Volk schlicht nicht fragt, auch ihre demokratische Legitimation verspielt. Unsere Demokratie in Deutschland ist ganz einfach deshalb kein Sehnsuchtsort mehr, nicht weil wir zu viel Demokratie, sondern weil wir zu wenig Demokratie wagen. Der politische Slogan der Alternativlosigkeit in den 2000er Jahren war ebenso schädlich für die Demokratie wie die angekündigte Zeitenwende in den 2020er Jahren.

Auszug aus dem Buch: Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik | Perspektiven, Spielregeln und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft der Spezies Mensch im schönsten Land der Welt – in Deutschland, Stefan Theßenvitz, 248 Seiten, 38 Euro. Im Webshop erhältlich: https://shop.thessenvitz.de/produkt/nachhaltigkeit-in-gesellschaft-und-politik/

© Abbildung erzeugt mit Hilfe von OpenAI, 2024, Stefan Theßenvitz

Vertrauen ist wie Porzellan

Ich vermute drei zentrale Störereignisse, die zu einem massiven Vertrauensverlust gegenüber der Politik, den Parteien und schließlich der Demokratie geführt haben.

Die ab dem Jahr 2015 einsetzende und bis in die Gegenwart andauernde in Wellen ablaufende ungeregelte Migration nach Deutschland und die damit verbundene verzerrte mediale Berichterstattung  erzeugten viele Fragen und Ängste in vielen Teilen der Bevölkerung. Der ausbleibende Dialog zwischen den Politikern und den Geängstigten erzeugte viel Unmut, Wut und das Erstarken populistischer Strömungen.

Im Umgang mit der Corona-Pandemie in den Jahren 2020 und 2021 mit der Beschneidung der Bürgerrechte und gleichzeitig fehlender wissenschaftlich fundierter Expertise im Zusammenhang mit wiederholt harten obschon wirkungslosen Maßnahmen kroch die Angst vor der Pandemie und der Politik gleichermaßen in die Wohnstuben und die schäumend querdenkende Wut auf die Straßen. In der Pandemie zerbrachen viele Familien, Freundschaften und viel wertvolles Vertrauensporzellan gegenüber der Politik.

Mit dem Beginn des militärisch offen geführten Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 brach sich in Deutschland die Erkenntnis Bahn, dass unser Land dieser Situation relativ hilflos gegenübersteht. Verbunden mit den schockierend schlechten PISA-Ergebnissen im gleichen Jahr begann in Deutschland eine fundamentale Diskussion um seine Zukunftsfähigkeit und man nahm verstärkt wahr, in welch desolatem Gesamtzustand unser Land ist.

All diese Wahrnehmungen über den Zerfall des gesellschaftlichen Miteinanders, der Lösungsfähigkeit der Politik und der öffentlichen Infrastruktur wurden von einer nicht beherrschbaren Masse an interessensgeleitenden FakeNews insbesondere in den digitalen sozialen Netzwerken verstärkt mit dem Ziel, den Gemeinsinn der Bürger zu destabilisieren.

Auch hierbei wäre eine wehrhafte Demokratie gefordert, die im Sinne einer nachhaltigen und stabilen offenen Gesellschaft die ihr zur Verfügung stehenden Waffen einsetzt, um sich und ihre innewohnenden Werte zu schützen.

Auszug aus dem Buch: Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik | Perspektiven, Spielregeln und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft der Spezies Mensch im schönsten Land der Welt – in Deutschland, Stefan Theßenvitz, 248 Seiten, 38 Euro. Im Webshop erhältlich: https://shop.thessenvitz.de/produkt/nachhaltigkeit-in-gesellschaft-und-politik/

© Abbildung erzeugt mit Hilfe von OpenAI, 2024, Stefan Theßenvitz

Gute Politik bündelt Interessen

Die politische Kommunikation der uns Regierenden gegenüber uns Bürger:innen verändert sich zunehmend hin zu einem infantilen Erklärsprech, der in vielen Menschen das Gefühl verstärkt, wie ein kleines Kind angesprochen und behandelt zu werden. Viele Menschen vermissen den Dialog mit Sachbezug. Scheinbar erzeugt das Volk den Eindruck, der Komplexität unserer Lebenswirklichkeiten nicht mehr gewachsen zu sein.

Mein Lieblingszitat eines grünen Bundestagsabgeordneten nach der Bundestagswahl am 26. September 2021 war: „Die Menschen haben entschieden, von wem sie regiert werden wollen.“ Ich für meinen Teil möchte von niemanden regiert werden. Ich gehe zur Wahl, um Menschen zu wählen, die meine Interessen vertreten. Diese Menschen haben sich in verschiedenen Parteien mit unterschiedlicher Programmatik organisiert, um dort Mehrheiten zu bilden – zur Durchsetzung meiner Interessen – die je nach Mehrheitswillen und -verhältnissen zu vernünftigen, abgewogenen Kompromissen führen.

Gute Kompromisse erkennen wir immer daran, dass es keine Gewinner und Verlierer gibt. Schlechte Kompromisse erkennen wir immer daran, dass ein vermeintlich höherwertiges Gut (Klimaschutz, Weltfrieden, Gerechtigkeit) in seiner unfasslichen Abstraktheit eine aus sich selbst heraus superiore Position einnimmt, die das Aushandeln von konkreten Verbesserungen auf Augenhöhe im offenen Diskurs verunmöglicht. Selbstverständlich sind Klimaschutz, Weltfrieden und Gerechtigkeit erstrebenswerte Ziele, doch diese müssen verkoppelt werden mit einem sachbezogenen Dialog.

Um einige wenige von vielen Beispielen des infantilen Erklärsprech im Zusammenhang mit der Energiewende heranzuziehen, mit deren konkreten Auswirkungen wir Bürger:innen konfrontiert sind: „Atomstrom verstopft die Netze“, „Das Netz ist der Speicher“, „es gibt Batterien, die auf Kobold verzichten können“. Solche Aussagen wirken nicht vertrauensfördernd in einem sachbezogenen Dialog. Diese Liste könnte man fortsetzten, doch belassen wir es bei einem gewummsten Doppelwumms, mit dem man unter einem atmenden Deckel never alone walkt und Schulden in verschattete Sondervermögen verwandelt.

Auszug aus dem Buch: Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik | Perspektiven, Spielregeln und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft der Spezies Mensch im schönsten Land der Welt – in Deutschland, Stefan Theßenvitz, 248 Seiten, 38 Euro. Im Webshop erhältlich: https://shop.thessenvitz.de/produkt/nachhaltigkeit-in-gesellschaft-und-politik/

© Abbildung erzeugt mit Hilfe von OpenAI, 2024, Stefan Theßenvitz

Lecker Nudging für bessere Entscheidungen

Nicht wirklich im Licht der Öffentlichkeit arbeitet die Bundesregierung beginnend mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel seit 2015 mit dem Konzept des liberalen Paternalismus – dem Nudging. In der Politik setzte sich diese Methoden der Beeinflussung von Menschen konsequent durch – auf der Grundlage der Erkenntnis, dass Menschen nur bedingt rational handeln. Richard Thaler entwickelte das Konzept des Nudging für die politische Ebene, subkutane Anreize für gewünschtes Verhalten setzen, das ohne kognitive Reflexion auskommt. In Großbritannien und USA sind Nudges (kleine Stupser) feste Bestandteile des politischen Handelns. In Deutschland wurde das Nudging von den Grünen im Bundestagswahlkampf erstmals 2013 – und damals erfolglos – eingesetzt (Veggie-Day).

Kritiker nennen es den Nanny-Staat, der seine Bürger zunehmend gängelt. Dennoch: Nudging als gesellschaftliche Vereinbarung gewinnt zunehmend unter den Mainstream-Milieus Akzeptanz. Nudging entlastet das Denken und begünstigt gute Entscheidungen und solange es guten Zielen folgt, ist es auch in Ordnung: Körpergewicht, Bewegung, Ernährungsverhalten, Steuerehrlichkeit, Fahrverhalten (Tempolimits), Wahl der Transportmittel (CO2-Emissionen), Energie- und Wasserverbrauch, Altersvorsorge und Finanzen sind Felder, auf denen Nudges erfolgreich funktionieren und zunehmend lieb gewonnen werden.

Das Nudging – das Anstupsen basiert auf dem erfolgreichen Therapiemodell der weisen Intervention. Und die Grundpfeiler der weisen Intervention ruhen auf den Überlegungen und Erkenntnissen unter anderem von Paul Watzlawick. Einer seiner berühmtesten Sätze ist: „Wir können nicht nicht kommunizieren.“ Übertragen auf das Nudging können wir sagen: Wir können nicht nicht manipulieren.

Ein paar Beispiele zum Nudging: Sie fahren mit Ihrem Auto auf eine geschlossene Ortschaft zu und sie sehen auf einer Tafel ihre aktuelle Geschwindigkeit. Liegen sie über der erlaubten Geschwindigkeit, dann blinkt es rot oder ein schlechtgelauntes Smiley erscheint, liegen sie mit Ihrer Geschwindigkeit drauf oder drunter der erlaubten Geschwindigkeit, dann blinkt es grün oder das Smiley lächelt. Bei einem Übernachtbesuch bei Freunden stieg ich morgens auf die Waage im Bad der Gastgeber. Statt meines Gewichts in Ziffern erschien auf der Waage der Text „Zu fett!“. Ja, sagte die Gastgeberin, sie hätte die Waage so eingestellt, das würde sie motivieren.

In vielen Kantinen finden Sie mittlerweile die Süßspeisen in der zweiten und dritten Reihe hinter dem Joghurt und dem Obst. Es ist ein wenig anstrengender und unbequemer geworden, an Süßes zu kommen. Der Absatz von Süßspeisen in diesen Kantinen geht signifikant zurück. Der Veggie-Day der Grünen entspross auch dem Nudging, das ging wie bekannt gründlich daneben. Wobei die Botschaft echt gut gemeint war. Esst mehr Obst und Gemüse.

Ein Mehrgeschosser-Neubau in Frankfurt verfügt über vergleichende Mess-Systeme des Energieverbrauchs. Ich kann in meiner Wohnung jederzeit meine Energieperformance mit anderen Wohnungen vergleichen und erfahre schnell mein Ranking und ob ich die Umweltsau oder der Umweltprimus im Haus bin.

Wir halten fest: Nudging entlastet das Denken und begünstigt gute Entscheidungen: Kontrolle des Körpergewichts, mehr Bewegung (Fitness-Apps sind Nudging-Werkzeuge), Ernährungsverhalten, Steuerehrlichkeit (gute Formulare führen zu mehr Steuerehrlichkeit), Fahrverhalten (Tempolimits), Wahl der Transportmittel (CO2-Emissionen), Energie- und Wasserverbrauch, Altersvorsorge und Finanzen. Soweit zur weißen Seite der Magie des Nudging und diese Seite ist auch ganz toll, denn sie macht die Welt besser.

Auszug aus dem Buch: Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik | Perspektiven, Spielregeln und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft der Spezies Mensch im schönsten Land der Welt – in Deutschland, Stefan Theßenvitz, 248 Seiten, 38 Euro. Im Webshop erhältlich: https://shop.thessenvitz.de/produkt/nachhaltigkeit-in-gesellschaft-und-politik/

© Abbildung erzeugt mit Hilfe von OpenAI, 2024, Stefan Theßenvitz

Mehr Argumente wagen

Blicken wir auf die andere Seite des Nudging, auf dessen schattige Seite. Hier erleben wir seit vielen Jahren die Zunahme von FakeNews: aus parawissenschaftlichen Erkenntnissen, präzise verstümmelten Ausschnitten aus Studien oder gleich gefakten Studien, irgendwelchen Autoritäten (gerne im Businessanzug oder im Arztkittel, auch Ökoschlabberlock und unkonventionelle Haartracht erzeugen milieuspezifische Vertrauensvorschüsse!) und deren überhöhter Inszenierung in sozialen Medien wird ein scharfes  Verschwörungsgulasch angerührt – reichlich gewürzt mit Halbwahrheiten aus der Tagespolitik.

Wir wissen ja, ein gutes Gulasch brennt zweimal; FakeNews auch. Die dort angerichteten Bedrohungen führen zu urweltlichen Reflexen: wir bekommen es mit der Angst zu tun. Und wer Angst hat, ist leicht manipulierbar. Wer Angst hat, sehnt sich nach Rettung. Satan sei Dank ist diese in FakeNews immer sofort zur Stelle. In Dreiwort-Sätzen, in Schuldzuweisungen, in Allmachtsphantasien und all dem Endzeit Bling-Bling – natürlich immer mit der Lichtgestalt, die uns ihre gütige Hand reicht. Soweit zur Schattenseite der Magie des Nudging und diese Seite ist ganz furchtbar, denn sie macht die Welt schlechter. Angst ist kein guter Ratgeber und Angst ist kein Argument.

Blicken wir etwas in der Zeit zurück auf – richtig geraten – Corona und die Strategie unserer Bundesregierung zur Bewältigung dieser (so sorry, da war gar keine) – also gut, blicken wir auf die Kommunikation unserer Bundesregierung in der Corona-Pandemie. Mich wunderte stets der grobe Ton, der mir als Bürger regierungsseitig entgegenschlug und die Hochrechnungen und die plastischen Darstellungen des bevorstehenden Massensterbens und dass ich Schuld bin.

Ja ich und deshalb muss ich um 21:00 Uhr ins Bett und wie furchtbar alles immer weiter eskaliert und es gibt nur eine Rettung: Verkriech Dich zu Hause, Lass niemanden rein, und Geh´ nicht raus.

Mir machten diese Nachrichten Angst, ehrlich. Und so wie es aussieht, war das Teil der Kommunikations-Strategie der Bundesregierung. Die Bundesregierung wollte, dass ich Angst habe und sie machte ihre Arbeit gut. Denn die Angst, das Misstrauen, die Unsicherheit waren mitten unter uns und beherrschten den Diskurs. Gehört wurde eigentlich nur noch, wer noch mehr Angst verbreitete. Ich nannte das damals das SKK-Syndrom – SeehoferKerberKölbl. Es war Teil unserer Alltagswirklichkeit.

Ich will hier echt keine Sau durchs Dorf treiben und ich unterstelle wirklich jedem Menschen erstmal gute Absichten, doch das Ergebnis der Kommunikationsarbeit war schon gruselig. Dazu meine Oma: „Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.“ Das sagte sie gerne, wenn ich den Vorsatz anstelle der Tat zur Geltung bringen wollte. Den Satz entlieh sie augenzwinkernd George Bernard Shaw.

Jetzt nehmen wir den Vorsatz beim Schopf. Das regierungsseitige Story-Telling mit den erstickenden Menschen vor verschlossenen Krankenhaustüren und den traumatisierten Kindern, deren Oma sterben musste, weil sie sich nicht die Hände gewaschen haben, war Teil einer bewussten Beeinflussung meiner Seele, um einen Worst-Case zu verdeutlichen. Dafür brauchte ich kein Corona, dass mir hier der Atem stockt. Dieses Story-Telling rührte bewusst an unsere Urängste: Ersticken und nicht zu heilende Schuld. Das war das Tor zur Hölle.

Das ist die Schattenseite des Nudging: Ich werde manipuliert, damit ich Angst bekomme, damit ich tue, was man mir sagt. Konnte sich unsere Bundesregierung nicht vorstellen, die Bürger vernünftig und sachlich zu informieren?

Traute man uns Bürgern keine aufgeklärte Haltung zur Realität zu? Ich habe einmal gelernt, dass Kommunikation mehr über den Sender als über den Empfänger offenbart.

Über das emotionale Erschrecken hinaus erkannte ich, dass sich unsere Bundesregierung der gleichen Methoden bediente wie die FakeNews-Branche: Überwältigung, Erregung, Schock, Angst und Misstrauen als Kommunikations-Strategie. Verstehen sie, was sie damit anrichteten? Den kompletten Vertrauensverlust, die Hinwendung zu Bewegungen mit den einfachen Antworten, die Verunmöglichung des differenzierten Diskurses, die Ausgrenzung jedes Menschen, der minimal anders tickt.

Ich sage es jetzt doch: ich vergleiche die Corona-Pandemie mittlerweile mit einem Krieg. Corona war wie eine Neutronenbombe, die in der Atmosphäre gezündet wurde. Die Häuser blieben stehen, doch das Leben starb leise, jeder verstrahlt in seinem Loch. Hiram Johnson, US-amerikanischer Politiker brachte es auf den Punkt: „Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit.“

Auszug aus dem Buch: Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik | Perspektiven, Spielregeln und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft der Spezies Mensch im schönsten Land der Welt – in Deutschland, Stefan Theßenvitz, 248 Seiten, 38 Euro. Im Webshop erhältlich: https://shop.thessenvitz.de/produkt/nachhaltigkeit-in-gesellschaft-und-politik/

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Aufklärung ist Pflicht

Wenn die Wahrheit stirbt oder einfach der Mut zur Wahrheit, wenn der Gedanke der Aufklärung  stirbt und der oft auch lästige aber bitter notwendige Diskurs (auch mit Deppen), wenn die Sache hinter der Ideologie verschwindet, dann ist schnell Schluss mit Demokratie. Wenn man sich der Methoden der Feinde unserer Demokratie bedient, um diese Feinde zu besiegen, dann ist das ein Fehler.

Den Feind mit seinen eigenen Waffen schlagen ist so ziemlich der größte Blödsinn, den man glauben kann und ein echter Brüller auf jeder guten Militärakademie. Denn der Feind ist nur dann zu schlagen, wenn wir ihn in eine Schlachtordnung und Waffenwahl zwingen, in der wir überlegen sind (das gilt übrigens auch für Fußballspiele).

Woran bitte soll man denn die Wahrheit erkennen, wenn sie sich im schmierigen Gewand des verschlagenen Angstmachers von hinten anschleicht und ihren stinkigen Atem in unsere Ohren haucht?

Ich lege Ihnen die Tagesschau vom 9. Dezember 1980 ans Herz, die gibt es bei YouTube in voller Länge zu sehen. An diesem Tag wurde John Lennon ermordet. Das war eine schreckliche Nachricht, nicht nur für Beatles-Fans. Der Bericht darüber wurde in der Tagesschau als letzte vor dem Wetterbericht gesendet.

Das wäre heute bestimmt anders. Der Tod John Lennons wäre der Aufmacher, doch mir geht es um was anderes: mir geht es um den Ton in der Tagesschau, dieses trocken spröde Sachliche, Unbeteiligte. Heute unvorstellbar, da gäbe es mordsmäßig Pipi in den Augen der Moderatorinnen und Moderatoren zu sehen – in groß und Slow-Tränen-Kullering in Farbe. Diesen sachlich überlegten, distanzierten und gerne auch kühl-unbeteiligten Ton brauchen wir wieder, und zwar dringend. Es geht darum, die Wahrheit und die Tatsachen anständig zu kleiden. Es geht um unsere Vertrauenskultur!

Auszug aus dem Buch: Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik | Perspektiven, Spielregeln und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft der Spezies Mensch im schönsten Land der Welt – in Deutschland, Stefan Theßenvitz, 248 Seiten, 38 Euro. Im Webshop erhältlich: https://shop.thessenvitz.de/produkt/nachhaltigkeit-in-gesellschaft-und-politik/

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Bürgerrechte statt Menschenrechte

Eine wehrhafte Demokratie braucht eine Vertrauenskultur und sie braucht wehrhafte Bürger. Seitens der Politik wird immer häufiger von Menschen statt von Bürgerinnen und Bürgern gesprochen und das erfüllt mich mit großer Sorge. Bitte verzeihen Sie den erneuten Bezug auf die Corona-Pandemie, doch sie war einfach einzigartig exemplarisch für die Ausformung der aktuell praktizierten Politik, deren Ansprache des Volkes und dem Selbstverständnis der uns Regierenden.

Immer wenn ich das Wort „Menschen“ höre, wird mir etwas mulmig. Mit dem Wort Menschen schwingen in mir die Menschenrechte mit und die Menschenwürde – die unantastbare, die Menschlichkeit und besonders gruselig – die Mitmenschlichkeit. Die Mitmenschlichkeit, was auch immer das sein soll, lieben ja insbesondere die Kirchen.

Die anderen Worte rund um den Wortstamm Mensch werden sehr gerne von Menschenrechts-Organisationen verwendet. Immer dann, wenn es etwas anzuprangern gilt, kommt irgend so ein Wort mit Mensch daher. Alle Wortschöpfungen rund um den Menschen bezeichnen eine Gefahr, ein Fehlen, ein Defizit und darauf weisen diese Worte hin. Deshalb wird mir immer bei „Menschen“ mulmig, denn dann stimmt ganz grob was nicht.

Der Mensch ist in seiner Gesamtheit ein außerordentlich schutzbedürftiges Wesen und seine menschengemachte Welt wird ihm oft – zumindest den widerborstigen Exemplaren – zur Hölle auf Erden. Homo homini lupus – der Mensch ist des Menschen Wolf. Politische Gefangene und nicht selten deren Familien leiden Höllenqualen in den Folterkellern der Diktaturen, die verabscheuungswürdige Kinderarbeit und die Ausbeutung von Frauen und Männern in Fabriken und auf Plantagen ist eine real existierende Sauerei ebenso wie durch Kriege der Heimat beraubte Flüchtlinge, die auf ihren Wegen hin zu den vermeintlich rettenden Gestaden elend verdursten, ersaufen oder in der Sklaverei enden. Dieses Elend ist durch und durch menschengemacht, es ist menschlich und das gibt es millionenfach. Dieses Elend ist seit Anbeginn der Menschheit geübte Praxis. Deshalb wird mir immer bei „Menschen“ mulmig, denn dann stimmt ganz grob was nicht.

Dieses real existierende menschliche Leiden und Elend resultieren aus dem Mangel an Rechten. Menschen haben keine Rechte und Menschenrechte – so wohltönend fanfarig sie auch daherschreiten und egal wie viel Ornat und Lametta an ihnen baumelt. Sie nützen den Betroffenen einen Scheiß, wenn es darauf ankommt.

Eine der großartigsten Erfindungen der Menschheit war die Erfindung der Bürgerin und des Bürgers. Denn so wurde aus dem Mensch ein Bürger und dieser wird definiert durch Rechte und Pflichten in einem Rechtssystem. Nicht der Mensch steht oben und schaltet und waltet nach Gutdünken. Nein, das Recht steht oben über allem und darunter sind alle gleich. Das Recht schützt, das Recht bestimmt, das Recht entscheidet, das Recht straft. Bürger ohne Rechte gibt es nicht, Menschen ohne Rechte schon. Deshalb gilt die Maxime: Bürgerrechte statt Menschenrechte.

Auszug aus dem Buch: Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik | Perspektiven, Spielregeln und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft der Spezies Mensch im schönsten Land der Welt – in Deutschland, Stefan Theßenvitz, 248 Seiten, 38 Euro. Im Webshop erhältlich: https://shop.thessenvitz.de/produkt/nachhaltigkeit-in-gesellschaft-und-politik/

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Nur Gefangenen gewährt man Privilegien

Ein guter Freund von mir – ein Gefängnisdirektor im Ruhestand und damals für die harten Jungs zuständig – kann sehr eindrücklich schildern, wie in einem geschlossenen System aus Bürgern Menschen werden und welche Regeln es zu beachten gilt, damit alles halbwegs friedlich bleibt im Knast. Strafgefangene haben nur eingeschränkte Bürgerrechte. Sie dürfen zum Beispiel nicht so einfach raus an die frische Luft, wenn ihnen danach ist, sie dürfen sich nicht ihre Zelle aussuchen und ihre Zelle kann jederzeit betreten und durchsucht werden. Auch die Klamottenfrage ist im Knast geklärt und der Speisenplan und die Aufsteh- und Essenszeiten.

Wie also macht man sich Menschen gefügig oder besser gesagt – zu Diensten – wenn sie keine Rechte haben? Man versorgt sie mit Privilegien. Wer brav ist, wer kooperiert, wer ab und an nützliche Hinweise gibt, wer sich nicht kloppt, bekommt zum Nachtisch Apfelkompott. Wer sich gut führt, darf früher wieder raus aus dem Knast. Was Strafgefangene rettet, ist ihr Wohlverhalten. Wohlverhalten wird belohnt, garstiges Verhalten – sich und andere schädigen – wird bestraft. Zugemessenes Wohlverhalten ist Ermessenssache, im Klartext: aus Wohlverhalten resultiert kein Rechtsanspruch. Deshalb wird mir immer bei „Privilegien“ mulmig, denn dann stimmt ganz grob was nicht.

Nun denn, dann halten wir unser Ohr mal an den Zeitgeist und hören zu, welcher Textur man sich bedient im Lande. Beginnen wir mit Katrin Göring-Eckardt, sie bekommt im November 2015 Menschen geschenkt (was für ein gruseliges Menschenbild ist das denn bitte?) und fahren wir fort mit einer kleinen Google-Recherche dann merken wir schnell, dass unsere Politiker:innen in den letzten Jahren immer weniger von Bürgern reden sondern von Menschen (insbesondere in europäischen Zusammenhängen).

Auf der Website von Angela Merkel fand sich der schöne Satz „Eine starke Wirtschaft ist Voraussetzung dafür, dass die Menschen gut und sicher in unserem Land leben.“ Das ist ein schöner Satz, wirklich, doch man hätte das auch anders formulieren können. Anders gefragt: Sind diese und andere Formulierungen Zufall oder einfach unbedacht oder scheint hier eine Haltung durch?

Kommen wir zum Refrain, den Privilegien. Corona legte hier wunderschön ein Denken frei, das sich trefflich zum Sinnieren eignete. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn lehnte Sonderrechte (Privilegien) für gegen das Coronavirus geimpfte Bürger ab. Dieser Gerechtigkeitsimpetus ist voll löblich. Doch sorry, Jens, hier geht es nicht um Privilegien, es ging um Bürgerrechte und wenn es nur die Bewegungsfreiheit war.

Friedrich Merz forderte, bereits Geimpften ihre Grundrechte zurückzugeben. Damit war er einen Schritt weiter, doch im Nebensatz glimmten die Freiheitsrechte auf, die man einräumen könne. Hallo Friedrich, Du nix einräumen Freiheitsrechte, ich will meine Bürgerrechte und meine Freiheit. Besonders schön an dem Wort Freiheit ist ja, dass es kleiner wird, wenn man es vermehrt. Freiheiten sind ganz was anderes als Freiheit.

Auszug aus dem Buch: Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik | Perspektiven, Spielregeln und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft der Spezies Mensch im schönsten Land der Welt – in Deutschland, Stefan Theßenvitz, 248 Seiten, 38 Euro. Im Webshop erhältlich: https://shop.thessenvitz.de/produkt/nachhaltigkeit-in-gesellschaft-und-politik/

© Abbildung erzeugt mit Hilfe von OpenAI, 2024, Stefan Theßenvitz

Da stimmt ganz grob was nicht

Cui bono – wem nützt es? Das muss stets die erste Frage sein. Nehmen wir die Bürger, die Menschen, die Rechte und die Privilegien und beziehen wir all das auf den März 2020 und die sich daran anschließenden Monate, gehen wir zurück zum Beginn der staatlichen Eingriffe zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Dazu nehmen wir unsere Demokratie und die Ministerpräsidentenkonferenz und huch, schnell merkten wir, wir wurden in Corona durch ein nicht demokratisch legitimiertes Gremium regiert. Die Erklärung war: Das müsse jetzt so sein, denn Demokratie wäre in diesem Falle zu langsam.

An der Stelle plagt mich mein gutes Gedächtnis und rückt mir den Kosovo-Krieg 1999 in den Blick. Damals zog Deutschland auf der Grundlage des Beschlusses des Deutschen Bundestages (incl. der Grünen – die ich aus diesem Grund nie wieder wählen werde) in den Krieg, den ersten seit Ende des zweiten Weltkrieges, das nur am Rande. Für den Kriegseinsatz taugte die Demokratie, für die Pandemie nicht? Mir zumindest scheint bis heute, da stimmt ganz grob was nicht.

Als gelernter Betriebswirt weiß ich so viel: Ein System beweist sich erst in der Herausforderung, in der Grenzlast. Eine Bahn, die nur bei Rückenwind und Sonnenschein fährt, braucht kein Mensch. Wenn wir in der Corona-Pandemie irgendetwas bewiesen haben, dann dies: wir brauchen keine Demokratie. Da sind Sie jetzt geschockt, oder? Wir hocken wie die Frösche im Wasser und merken nicht, wie sich das Wasser langsam erhitzt. Wissen Sie, was mit diesen Fröschen passiert? Ihr Eiweiß zersetzt sich und sie verkochen.

In der Corona-Pandemie wurde uns scheibchenweise hier ein Recht und dort ein Recht genommen, demokratische Spielregeln wurden zunehmend missachtet. Wir wurden tüdelig als Menschen angesprochen und wenn wir lieb waren, dann bekamen wir Leckerlie – also Privilegien. Mir zumindest übelte hier, denn da stimmte ganz grob was nicht.

Ich bin wirklich gerne Bürger in meinem schönen Land, ich erfreue mich meiner Bürgerrechte und bin mir meiner Bürgerpflichten bewusst. Selbstverständlich bin ich gegen Pocken, Kinderlähmung, Mumps, Masern und auch gegen die Grippe geimpft und natürlich habe ich einen Impfpass, in dem all das dokumentiert ist. Ich hielt die Impfung gegen Covid-19 für Bürgerpflicht, denn damit schützte ich mich und andere, das ist vollständig ideologiefrei gedacht und sehr einfach. Somit trug ich meinen Teil zum Deal bei.

Der Beitrag der Regierung war und wäre: Verschont mich mit eurem Menschengetue und eurem Privilegiengequatsche und Finger weg von meinen Bürgerrechten. Quot erat demonstrandum: Eine wehrhafte Demokratie braucht wehrhafte Bürger.

Auszug aus dem Buch: Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik | Perspektiven, Spielregeln und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft der Spezies Mensch im schönsten Land der Welt – in Deutschland, Stefan Theßenvitz, 248 Seiten, 38 Euro. Im Webshop erhältlich: https://shop.thessenvitz.de/produkt/nachhaltigkeit-in-gesellschaft-und-politik/

© Abbildung erzeugt mit Hilfe von OpenAI, 2024, Stefan Theßenvitz

Zukunft braucht Zuversicht

Demokratien gedeihen ausschließlich in einer Gesellschaft mit einem relativ normalverteilten Wohlstand und der Zuversicht der Menschen, es aus eigener Kraft beruflich zu Erfolg und Wohlstand zu bringen. Diese Zuversicht ist sehr brüchig geworden und die Unsicherheit fräst sich bis tief in die Mittelschicht hinein. Ich spiele seit 2021 den Bass in unserem dörflichen Blasorchester, ein Laienorchester, das besetzt ist mit Bäckern, Polizeihundeführern, Krankenschwestern und Krankenpflegern, Reiseverkehrskauffrauen und Steuerfachgehilfen, IT-Fachleuten, Schülern und Studenten, Logistikarbeitern, Lehrern, Feuerwehrleuten, Winzern, Schreinern und anderen Berufsgruppen mehr.

Ich würde sagen, dass sind die Menschen, die den Laden am Laufen halten, die fleißig sind und zuverlässig, strebsam und gewissenhaft und diese Menschen hat in den letzten Jahren eine große Wut erfasst – über so konkrete Dinge wie das Heizungsgesetz, die Steuern und Abgaben, die Genderdebatte, die erodierende Qualität der Schulbildung, die Inflation, die Bau- und Energiepreise, den Handwerkermangel, die Gesundheitsversorgung, die Diskussion über das Fleisch essen und Wokeness (ja, auch dieses Thema ist im Orchester virulent, ich sage nur Layla). Diese Menschen wählen brav, ich vermute mal mehrheitlich die CSU und die Freien Wähler, doch die Stimmung hat sich massiv gedreht.

Viele Menschen empfinden Zukunft zunehmend als Bedrohung, sie wollen behalten, was sie sich hart erarbeitet und aufgebaut haben, sie fühlen sich in dem politischen Diskurs zunehmend ungehört auf verlorenem Posten im tosenden Sturm des Zeitgeistes und ja, der Ton in den Probenpausen wird härter, wenn es um Politik geht. Wenn wir diese Menschen verlieren, dann verlieren wir die Demokratie. Es wäre wirklich gut, wieder mehr volksnahe Demokratie zu wagen.

Auszug aus dem Buch: Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik | Perspektiven, Spielregeln und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft der Spezies Mensch im schönsten Land der Welt – in Deutschland, Stefan Theßenvitz, 248 Seiten, 38 Euro. Im Webshop erhältlich: https://shop.thessenvitz.de/produkt/nachhaltigkeit-in-gesellschaft-und-politik/

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Für eine Handvoll Vernunft

Eine offene Gesellschaft ist keine Gesellschaft des anything goes. Diesen Irrtum müssen wir überwinden. Es ist nicht in Ordnung, die Versammlungs- und Redefreiheit zu nutzen, um in Deutschland ein Kalifat auszurufen, in Moscheen und in Hinterzimmern von Gasthäusern Hass zu predigen oder eine Partei mit einer faschistischen Ideologie mit einem demokratischen Mäntelchen zu behängen, das man, sobald eine qualifizierte Mehrheit errungen ist, abstreift, um in der darunter verborgenen Uniform ein totalitäres System mit einem eingenordeten Volk im Gleichschritt zu errichten.

Selbst wenn es innerhalb einer Diktatur gelänge, eine nachhaltige Gesellschaft zu gestalten, hätten wir Menschen versagt. Der Zweck darf nicht die Mittel heiligen, niemals. Wir müssen Lösungen unter Gleichen und Freien finden.

Verächter eines aufgeklärten Diskurses, die Tabuwächter, mahnen gerne mit dem Gruselkabinett möglicher Verbote, die man niemals akzeptieren dürfe. Ihnen sei entgegengehalten, das Gewaltmonopol des Staates, die Vorfahrtsregeln und die Funktionen einer Verkehrsampel, die Pflicht, Steuern zu bezahlen und vieles mehr haben sich für ein friedliches Gemeinwesen sehr bewährt. Ohne Regeln und Leitplanken geht es nicht. Sie gelten für alle, sie sind gerecht.

In der Entwicklung einer nachhaltigen Gesellschaft gibt es Spielregeln. Natürlich könnte man das Faustrecht ausüben, über rote Ampeln brettern oder die Steuern hinterziehen. Jedem Staatsbürger ist der Preis bekannt, wenn man der Tat überführt wird. Es geht um Spielregeln und diese gliedern sich in einen gesetzlichen, ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmen.

Das neue Denken will den Menschen wieder in Freiheit entlassen. Ich habe Vertrauen in die Kraft der Menschen, sich selbst zu tragen, Verantwortung zu übernehmen und mit ihrer genetischen Disposition zur Vernunftbegabung reflektierte Entscheidungen mit dem Großhirn zu treffen.

Eine offene, wehrhafte Gesellschaft und eine nachhaltig agierende Gesellschaft gehören zwingend zusammen. Nachhaltiges Handeln erfordert Mut, Entdecker- und Schaffensfreude, wir stehen in dieser Entwicklung erst am Anfang und wir brauchen jedes Talent, jede Hand und jeden Euro. Ohne Offenheit verschwenden wir Talent, ohne Nachhaltigkeit vernichten wir unsere Zukunftschancen.

Der Weg der Nachhaltigkeit ist ein Weg des Wachstums – natürlich auch wirtschaftlich doch insbesondere gesellschaftlich und politisch. Neue Vereinbarungen erfordern offenes Denken, das gelingt nur in einer offenen Gesellschaft, die sich diese Offenheit immer wieder erkämpft, sie beschützt und mit Macht verteidigt.

  • Verbindliche Spielregeln
  • Verbote und Strafen
  • Regeln und Leitplanken
  • Rechte und Pflichten
  • Freiheit und Verantwortung

Die mächtigsten Werkzeuge für die Veränderung der Zukunft liegen in der Hand der Gesellschaft und der Politik. Unternehmen können nur innerhalb der Tatsachen arbeiten – sie wirken innerhalb der normativen Kraft des Faktischen. Gesellschaft und Politik können Tatsachen verändern, sie können Zukunft gestalten – sie schaffen die normative Kraft des Faktischen.

Es sei wiederholt: wir arbeiten nicht im System, wir arbeiten am System. Das unverhandelbare Leitziel ist die Nachhaltigkeit – in der Ökonomie, im Sozialen und in der Ökologie.

Auszug aus dem Buch: Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik | Perspektiven, Spielregeln und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft der Spezies Mensch im schönsten Land der Welt – in Deutschland, Stefan Theßenvitz, 248 Seiten, 38 Euro. Im Webshop erhältlich: https://shop.thessenvitz.de/produkt/nachhaltigkeit-in-gesellschaft-und-politik/

© Abbildung erzeugt mit Hilfe von OpenAI, 2024, Stefan Theßenvitz

Differenzierte Argumentationsebenen

Die werblichen Botschaften, Argumente und Slogans vermitteln Inhalte, sie wecken Emotionen und damit Involvement. Dafür nutzen Botschaften, Argumente und Slogans differenzierte Argumentationsebenen.

Entwickeln Sie differenzierte Argumentationsebenen für gleiche Sachverhalte. Damit schaffen sie unterschiedliche Perspektiven und damit unterschiedliche Zugänge zu Ihren Themen.

Ihre Argumentationsebenen (die Sie gegebenenfalls Ihrer Bedingungslage anpassen):

  • Argumentieren Sie ökonomisch (Zahlen, Fakten, Prozente, Hochrechnungen, Zeitreihen, Vergleiche)
  • Argumentieren Sie psychologisch (Hirnforschung, wissenschaftliche Studien und Experimente, mentale Gesundheit)
  • Argumentieren Sie politisch (Demokratie, Gleichberechtigung, Europa, Diskriminierung, Gerechtigkeit, Fortschritt)
  • Argumentieren Sie kulturell (Heimat, Herkunft, Tradition, kulturelles Erbe, Identität)
  • Argumentieren Sie gesellschaftlich (Frieden, Zusammenhalt, Toleranz, Gemeinschaft)
Ihre Botschaft … Botschaft 1 … … Botschaft 2 … … Botschaft 3 …
Ökonomische Perspektive
Psychologische Perspektive
Politische
Perspektive
Kulturelle
Perspektive
Gesellschaftliche Perspektive