Schlagwort: Diskurs

Im Komfortzonen-Aschram

Im Zuge unserer kleinen Geburtstagesfetentournee durch Deutschland – die 1963er wurden 2023 alle 60 Jahre alt – ergaben sich viele Gespräche mit meinen Jugendfreunden, die ich teilweise seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hatte. Beispielgebend herausgehoben sei ein Gespräch mit einem Jugendfreund und seiner Ehefrau, beide in anspruchsvollen Heil- und Lehrberufen tätig, formal hochgebildet, abbezahltes Einfamilienhaus, gelegentliche Fernreisen, Wähler der Grünen, vegetarisch und alkoholfrei lebend, späte und intensiv liebende Helikoptereltern und zunehmende Achtsamkeit für ihre Work-Life-Balance.

Deren Einschätzungen über Deutschland und seine Perspektiven sind ernüchternd. Sie meinen, ihre Kinder werden noch ein schönes Leben führen, danach wird es auf der Erde für den Menschen unwirtlich, was aber nicht weiter schlimm sei, denn die Erde brauche den Menschen nicht und man sollte sich nicht so wichtig nehmen. Die beruflich vielreisende Ehefrau muss schnell Auto fahren, weil langsam fahren Zeit kostet und die einzige Lösung wäre eine Diktatur, doch Verbote will man nicht.

Vielen Menschen in meinem Alter geht es ökonomisch gut, doch dieses Wohlleben verengt deren Horizont. Meine Hypothese nach der Sommerreise und vielen Begegnungen mit Boomern: im Wohlstand wohnt kein Zukunftsimpuls. Schon klar, in bitterer Armut wohnt auch kein Zukunftsimpuls. Wer sich täglich für sein Überleben krumm schuftet, hat keine Energie für Weiter reichendes. Doch wenn der Mensch ein klein wenig zur Erkenntnis genötigt würde, Neues zu denken, dann wäre das schon von Vorteil.

So verbringen große Teile meiner Generation mit symbolischem Handeln und fühlen sich gut im veganen Café, ihrem Elektroauto und mit der Photovoltaik-Anlage auf dem Dach, sie machen ihre grünen Kreuze und kaufen den Enkelkindern die neu aufgelegten Abenteuer von Pippi Langstrumpf und dem Südseekönig.

Versuchen wir uns an der Nötigung, Zukunft zu denken. Dafür verlassen wir vorübergehend unsere Komfortzone. Das Denken von Zukunft beginnt idealerweise immer mit der Betrachtung von Tatsachen. Aus der Betrachtung von Tatsachen ergeben sich Perspektiven. Innerhalb der Perspektiven erkennen wir Spielregeln und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft der Spezies Mensch. Hinterfragen wir kritisch die Ergebnisse unseres bisherigen Tuns und nehmen unser Schicksal in die eigenen Hände.

Die als alternativlos akzeptierte Realität begünstigt das Abdriften in krude Ideologien und Handlungsmuster aller Art. Menschen erfinden zum Beispiel den sehr beliebten Cargo Cult, wirksames Handeln durch symbolisches Handeln zu ersetzen, unter anderem Schulstreiks für eine bessere Zukunft der Jugend – ich verzichte auf Bildung, um die Erde zu retten –, oder Talkshows, in denen Probleme elaboriert gemorpht werden. Damit verschwinden zwar die Probleme nicht, doch sie werden auf eine heimelige scheinintellektuelle Art unbegreiflich.

Es entsteht ein dialektisch vertracktes Irgendwie und Sowieso und ein Eskönnteauchallesganzanderssein, ein Gutdasswirdarübergeredethaben, ein Nurmeinemeinung und ein zuversichtlich lächelndes Wirbleibendran. Haltung und Gesinnung dominieren den Diskurs, nicht die Benennung von Tatsachen, geschweige denn konkrete Lösungen. Beispiel gefällig? Wir eiern seit Jahrzehnten um das nicht sagbare Tabu herum, dass die Integration gerade muslimisch geprägter Menschen in Deutschland auf breiter Front gescheitert ist, immer noch scheitert und bei unverändertem Denken und Handeln auch in Zukunft scheitern wird.

Auszug aus dem Buch: Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik | Perspektiven, Spielregeln und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft der Spezies Mensch im schönsten Land der Welt – in Deutschland, Stefan Theßenvitz, 248 Seiten, 38 Euro. Im Webshop erhältlich: https://shop.thessenvitz.de/produkt/nachhaltigkeit-in-gesellschaft-und-politik/

© Abbildung erzeugt mit Hilfe von OpenAI, 2024, Stefan Theßenvitz

Aufklärung ist Pflicht

Wenn die Wahrheit stirbt oder einfach der Mut zur Wahrheit, wenn der Gedanke der Aufklärung  stirbt und der oft auch lästige aber bitter notwendige Diskurs (auch mit Deppen), wenn die Sache hinter der Ideologie verschwindet, dann ist schnell Schluss mit Demokratie. Wenn man sich der Methoden der Feinde unserer Demokratie bedient, um diese Feinde zu besiegen, dann ist das ein Fehler.

Den Feind mit seinen eigenen Waffen schlagen ist so ziemlich der größte Blödsinn, den man glauben kann und ein echter Brüller auf jeder guten Militärakademie. Denn der Feind ist nur dann zu schlagen, wenn wir ihn in eine Schlachtordnung und Waffenwahl zwingen, in der wir überlegen sind (das gilt übrigens auch für Fußballspiele).

Woran bitte soll man denn die Wahrheit erkennen, wenn sie sich im schmierigen Gewand des verschlagenen Angstmachers von hinten anschleicht und ihren stinkigen Atem in unsere Ohren haucht?

Ich lege Ihnen die Tagesschau vom 9. Dezember 1980 ans Herz, die gibt es bei YouTube in voller Länge zu sehen. An diesem Tag wurde John Lennon ermordet. Das war eine schreckliche Nachricht, nicht nur für Beatles-Fans. Der Bericht darüber wurde in der Tagesschau als letzte vor dem Wetterbericht gesendet.

Das wäre heute bestimmt anders. Der Tod John Lennons wäre der Aufmacher, doch mir geht es um was anderes: mir geht es um den Ton in der Tagesschau, dieses trocken spröde Sachliche, Unbeteiligte. Heute unvorstellbar, da gäbe es mordsmäßig Pipi in den Augen der Moderatorinnen und Moderatoren zu sehen – in groß und Slow-Tränen-Kullering in Farbe. Diesen sachlich überlegten, distanzierten und gerne auch kühl-unbeteiligten Ton brauchen wir wieder, und zwar dringend. Es geht darum, die Wahrheit und die Tatsachen anständig zu kleiden. Es geht um unsere Vertrauenskultur!

Auszug aus dem Buch: Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik | Perspektiven, Spielregeln und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft der Spezies Mensch im schönsten Land der Welt – in Deutschland, Stefan Theßenvitz, 248 Seiten, 38 Euro. Im Webshop erhältlich: https://shop.thessenvitz.de/produkt/nachhaltigkeit-in-gesellschaft-und-politik/

© Abbildung erzeugt mit Hilfe von OpenAI, 2024, Stefan Theßenvitz