Schlagwort: Realität

Mehr Argumente wagen

Blicken wir auf die andere Seite des Nudging, auf dessen schattige Seite. Hier erleben wir seit vielen Jahren die Zunahme von FakeNews: aus parawissenschaftlichen Erkenntnissen, präzise verstümmelten Ausschnitten aus Studien oder gleich gefakten Studien, irgendwelchen Autoritäten (gerne im Businessanzug oder im Arztkittel, auch Ökoschlabberlock und unkonventionelle Haartracht erzeugen milieuspezifische Vertrauensvorschüsse!) und deren überhöhter Inszenierung in sozialen Medien wird ein scharfes  Verschwörungsgulasch angerührt – reichlich gewürzt mit Halbwahrheiten aus der Tagespolitik.

Wir wissen ja, ein gutes Gulasch brennt zweimal; FakeNews auch. Die dort angerichteten Bedrohungen führen zu urweltlichen Reflexen: wir bekommen es mit der Angst zu tun. Und wer Angst hat, ist leicht manipulierbar. Wer Angst hat, sehnt sich nach Rettung. Satan sei Dank ist diese in FakeNews immer sofort zur Stelle. In Dreiwort-Sätzen, in Schuldzuweisungen, in Allmachtsphantasien und all dem Endzeit Bling-Bling – natürlich immer mit der Lichtgestalt, die uns ihre gütige Hand reicht. Soweit zur Schattenseite der Magie des Nudging und diese Seite ist ganz furchtbar, denn sie macht die Welt schlechter. Angst ist kein guter Ratgeber und Angst ist kein Argument.

Blicken wir etwas in der Zeit zurück auf – richtig geraten – Corona und die Strategie unserer Bundesregierung zur Bewältigung dieser (so sorry, da war gar keine) – also gut, blicken wir auf die Kommunikation unserer Bundesregierung in der Corona-Pandemie. Mich wunderte stets der grobe Ton, der mir als Bürger regierungsseitig entgegenschlug und die Hochrechnungen und die plastischen Darstellungen des bevorstehenden Massensterbens und dass ich Schuld bin.

Ja ich und deshalb muss ich um 21:00 Uhr ins Bett und wie furchtbar alles immer weiter eskaliert und es gibt nur eine Rettung: Verkriech Dich zu Hause, Lass niemanden rein, und Geh´ nicht raus.

Mir machten diese Nachrichten Angst, ehrlich. Und so wie es aussieht, war das Teil der Kommunikations-Strategie der Bundesregierung. Die Bundesregierung wollte, dass ich Angst habe und sie machte ihre Arbeit gut. Denn die Angst, das Misstrauen, die Unsicherheit waren mitten unter uns und beherrschten den Diskurs. Gehört wurde eigentlich nur noch, wer noch mehr Angst verbreitete. Ich nannte das damals das SKK-Syndrom – SeehoferKerberKölbl. Es war Teil unserer Alltagswirklichkeit.

Ich will hier echt keine Sau durchs Dorf treiben und ich unterstelle wirklich jedem Menschen erstmal gute Absichten, doch das Ergebnis der Kommunikationsarbeit war schon gruselig. Dazu meine Oma: „Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.“ Das sagte sie gerne, wenn ich den Vorsatz anstelle der Tat zur Geltung bringen wollte. Den Satz entlieh sie augenzwinkernd George Bernard Shaw.

Jetzt nehmen wir den Vorsatz beim Schopf. Das regierungsseitige Story-Telling mit den erstickenden Menschen vor verschlossenen Krankenhaustüren und den traumatisierten Kindern, deren Oma sterben musste, weil sie sich nicht die Hände gewaschen haben, war Teil einer bewussten Beeinflussung meiner Seele, um einen Worst-Case zu verdeutlichen. Dafür brauchte ich kein Corona, dass mir hier der Atem stockt. Dieses Story-Telling rührte bewusst an unsere Urängste: Ersticken und nicht zu heilende Schuld. Das war das Tor zur Hölle.

Das ist die Schattenseite des Nudging: Ich werde manipuliert, damit ich Angst bekomme, damit ich tue, was man mir sagt. Konnte sich unsere Bundesregierung nicht vorstellen, die Bürger vernünftig und sachlich zu informieren?

Traute man uns Bürgern keine aufgeklärte Haltung zur Realität zu? Ich habe einmal gelernt, dass Kommunikation mehr über den Sender als über den Empfänger offenbart.

Über das emotionale Erschrecken hinaus erkannte ich, dass sich unsere Bundesregierung der gleichen Methoden bediente wie die FakeNews-Branche: Überwältigung, Erregung, Schock, Angst und Misstrauen als Kommunikations-Strategie. Verstehen sie, was sie damit anrichteten? Den kompletten Vertrauensverlust, die Hinwendung zu Bewegungen mit den einfachen Antworten, die Verunmöglichung des differenzierten Diskurses, die Ausgrenzung jedes Menschen, der minimal anders tickt.

Ich sage es jetzt doch: ich vergleiche die Corona-Pandemie mittlerweile mit einem Krieg. Corona war wie eine Neutronenbombe, die in der Atmosphäre gezündet wurde. Die Häuser blieben stehen, doch das Leben starb leise, jeder verstrahlt in seinem Loch. Hiram Johnson, US-amerikanischer Politiker brachte es auf den Punkt: „Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit.“

Auszug aus dem Buch: Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik | Perspektiven, Spielregeln und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft der Spezies Mensch im schönsten Land der Welt – in Deutschland, Stefan Theßenvitz, 248 Seiten, 38 Euro. Im Webshop erhältlich: https://shop.thessenvitz.de/produkt/nachhaltigkeit-in-gesellschaft-und-politik/

© Abbildung erzeugt mit Hilfe von OpenAI, 2024, Stefan Theßenvitz

Falsche Rückschlüsse führen zu falschen Erkenntnissen

Menschen wollen die Welt (und sich) als in sich schlüssig, als konsistent begreifen. Aus diesem Reflektionsmuster resultiert unser vierfaches Missverstehen in Bezug auf die Vergangenheit und ihre Auswirkungen auf unsere Gegenwart.

  1. Wir leben in der Illusion, gegenwärtige Ereignisse zu verstehen.
  2. Wir verzerren retrospektiv historische Ereignisse.
  3. Wir überbewerten Sachinformationen.
  4. Wir überbewerten die intellektuelle Elite.

Soweit die Gedanken von Nassim Nicholas Taleb. Und weiter: wir schaffen nachträgliche Erzählungen, um Ereignissen einen plausiblen Grund zu verleihen. Taleb nennt das die narrative Verzerrung. Diese Verzerrung ist gefährlich, denn dadurch entstehen falsche Entscheidungs- und Handlungsmuster.

Unternehmerische Entscheidungen auf Grundlage von narrativen Verzerrungen erinnern an Beschwörungsformeln von Hohepriestern, die ein umfassendes Wissen über Zusammenhänge suggerieren, deren Tiefe und Bedeutung dem Fußvolk in klaren Worten zu vermitteln nicht möglich und deshalb Zeitverschwendung ist. Denn dem Fußvolk mangelt es an Erkenntnisfähigkeit.

Das Fußvolk – die Mitarbeiter – werden mit Parolen abgespeist, an denen sich ihre Schaffensfreude aufrichten soll, im festen Vertrauen auf die Weisheit der Führungskräfte. Diese umgeben sich mit den Insignien der Wissenden, um allzeit ihre herausgehobene Stellung sichtbar zu dokumentieren und Unnahbarkeit zu demonstrieren: Limousinen mit Fahrer, riesige Büros, eine Vielzahl an Assistenten, ein knallvoller Terminkalender, abgeschottete Meetings mit anderen Wissenden, Verkündigungen mit aus rätselhaften Wörtern vollgestopften Sätzen aus einer fremden Sprache (z.B. Denglish) – oder banalste Dreiwortsätze so flach wie Gehsteigpfützen, deren unermessliche Tiefe sich hinter der augenscheinlichen Flachheit nur dem sich darin spiegelnden Sprechenden erschließt.

Ohne eine saubere, sachbezogene und umfassende Analyse muss das Ergebnis jeder Entscheidung und Handlung zufällig sein.

Eine kleine Geschichte: im Gespräch mit dem Geschäftsführer einer großen Umweltschutzeinrichtung mit Tagungs- und Übernachtungsbetrieb berichtete dieser begeistert von den stark steigenden Buchungszahlen seit einigen Monaten, die seit der Gründung des Betriebs ohne Beispiel sei. Seine Erklärung: man hat im zurückliegenden Jahr ein die ganze Region umspannendes Projekt zur Anpflanzung von Heckenrosen durchgeführt, als Landschafts-Schutzmaßnahme und als Aufwertung der touristischen Kulisse. Seine Schlussfolgerung: man müsse also in diesem Jahr wieder ein Projekt dieser Art durchführen, dann würden die Buchungszahlen weiter steigen.

Auf Nachfrage und genauerer Betrachtung ergab sich folgendes Bild: die Umweltschutzeinrichtung bereitete das Heckenrosenprojekt über ein Jahr lang vor, warb in der Region um Verständnis und Mitwirkung, versorgte die Presse mit Informationen, informierte die Bewohner mit Flugblättern, hielt Veranstaltungen in Wirtshäusern und Gemeindezentren ab, gewann viele Ehrenamtliche für die Arbeit und erklärte im Pflanzzeitraum jedem interessierten Anwohner und Touristen sozusagen am Feldrand den Sinn und Zweck der Übung.

Unsere Schlussfolgerung: durch diese Maßnahme wurde die Umweltschutzeinrichtung nach vielen Jahren endlich in der Region bekannt. Vorher kannte kaum jemand die hinter vielen Hügeln versteckte und nur schwer erreichbare Umweltschutzeinrichtung, die bis dato ihr karges Fördermittel-Brot im Kreis der beherzten Vereinsmitglieder in der ansonsten leeren Hütte mümmelte. Die Umweltschutzeinrichtung hat schlicht die Werkzeuge der Öffentlichkeitsarbeit und des Vertriebs bedient, sie hat sich gerührt. Und wir wissen: wenn man sich rührt, dann rührt sich was.

Gefährlich ist auch das abstrakte Denken, mit dem man Wirklichkeit simuliert. Folgende Frage ist sehr beliebt in Arbeitskreisen jeder Art: „Welche Konsequenzen hätte es gehabt, wenn wir dies und jenes getan hätten?“. Wer die Konsequenzen von Ereignissen abwägt, die nicht eingetreten sind, landet in paradoxen Bewertungen und damit im Realitätsverlust. Dieses Denken ergibt keinen Sinn.

Die vier Facetten der Wirklichkeit und ihre Folgen (nach Ibn Yamin,* 1286 in Faryumad bei Sebzevar, † 1368), persischtadschikischer Poet):

  1. Es gibt Dinge, von denen wir wissen, dass wir sie wissen. Sein Pferd der Weisheit wird den Himmel erreichen.
  2. Es gibt Dinge, von denen wir wissen, dass wir sie nicht wissen. Er schläft schnell ein, so dass man ihn aufwecken muss.
  3. Es gibt Dinge, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen. Sein lahmendes Maultier wird ihn schließlich nach Hause bringen.
  4. Es gibt Dinge, die wir nicht wissen wollen. Er wird auf ewig in seiner Vergessenheit verloren sein.

Gerade der vierte Punkt – es gibt Dinge, die wir nicht wissen wollen – ist außerordentlich gefährlich für Unternehmen. Auf dem Weg zum Wissen durch Analyse und Erkenntnis gibt es keine seriöse Abkürzung. Jede Abkürzung ist Scharlatanerie und Betrug an den Kunden, die dem Unternehmen vertrauen und an den Mitarbeitern, die von ihm abhängig sind.

Mein Appell an Sie: arbeiten Sie an Ihrer Wahrnehmung, behalten Sie die Kontrolle über die Realität und bleiben Sie tatkräftig! Denn diese beiden Punkte stehen fest:

  • Auf lange Sicht bereut man vor allem Dinge, die man in der Vergangenheit nicht getan hat und deren Ausgang man folglich nicht kennt.
  • Im Nachhinein und auf kurze Dauer bereut man besonders solche Dinge, die man in der Vergangenheit getan hat, die aber ungünstig ausgegangen sind.

Herzlich willkommen im Club der klaren Denker und kraftvollen Macher,

Ihr Stefan Theßenvitz