Jeder Markt entsteht durch Angebot und Nachfrage. Die Bereitstellung der Angebote erfordert Arbeitskraft, Energie und Ressourcen. Die daraus resultierenden Herstellkosten müssen erwirtschaftet werden, um all das zu bezahlen zuzüglich Gewinn und Rücklagen für Investitionen. So weit, so einfach. Ein industrieller Hersteller profitiert erheblich von Kostendegressionseffekten.
Es ist erheblich kostengünstiger, Millionen von Hühnern in einer Massentierhaltung für die Produktion von Eiern zusammenzupferchen als eine Handvoll freilaufender Hühner in einem Hühnerhotel zu halten. Die Kostendegressionseffekte reichen vom Einkauf von Futtermitteln über den Energieeinsatz bis hin zu den Personalkosten. Deshalb sind industrielle Prozesse so unfasslich sexy.
Problematisch wird es immer dann, wenn das oberste Ziel die Gewinnmaximierung ist. Verbunden mit den anonymen Kundenbeziehungen und den nicht öffentlich einsehbaren Produktionsprozessen entsteht daraus die große Versuchung, es nicht so genau zu nehmen. Ein handwerklich arbeitender Bauernhof mit direktem Kontakt zu seinen regionalen Kunden steht diesen täglich im hellen Licht gegenüber.
Abschließend hierzu: nicht jedes Industrieunternehmen ist böse, nicht jeder Bauernhof ist gut. Entscheidend ist immer die Zielsetzung und das Maß an Verantwortung, die jeder Betrieb in der Herstellung seiner Produkte für seine Kunden, seine Mitarbeiter und die Umwelt übernimmt. Eine gute Lösung ist, die Nachhaltigkeit als oberstes Ziel zu setzen und entlang dieser Kriterien für alle hergestellten Güter eine neue Vollkostenrechnung einzuführen, die die gesamte Wertschöpfungs- und Lieferkette umfasst.
Die gesetzlichen Regelungen umfassen die Sorgfaltspflicht bei der Herstellung von Lebensmitteln. Unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit müssen hinzugenommen werden: gerechte Löhne für alle Menschen in der Landwirtschaft, die artgerechte Haltung von Tieren vorwiegend im Freiland unter Berücksichtigung ihres angeborenen Verhaltens, kein Transport von lebendenden Tieren weiter als 50km, kein Export von Fleisch aus Deutschland und kein Import von Fleisch nach Deutschland.
Es gibt kein Menschenrecht auf argentinisches Rindfleisch in Deutschland und auf in Deutschland gezüchtete Schweine in China. Diese Regelungen begünstigen die regionale, bäuerliche Landwirtschaft und sie führen zu stark steigenden Preisen für Fleisch. Sie begünstigen die Wertschätzung für das Naturprodukt und sie erhöhen die Wertschöpfung in regionalen Kreisläufen.
Steuerlich ein Segen sind differenzierte Steuersätze für differenziert zu betrachtende Lebensmittel. Unverarbeitete Lebensmittel, die nach den Regeln der Biolandwirtschaft hergestellt werden, müssen mehrwertsteuerfrei sein. Das begünstigt in einem freien Wettbewerb günstigere gesunde Lebensmittel.
Importierte unverarbeitete Lebensmittel, zum Beispiel Bioerbsen aus Ägypten oder Biotomaten aus Spanien müssen zwingend auf ihre Nachhaltigkeit hin geprüft werden – entsprechen die Arbeitsbedingungen und sozialen Standards für die dort Beschäftigten unseren Standards? Wenn nicht, dann werden Strafzölle in dem Maße fällig, wie diese Nachhaltigkeitskriterien nicht eingehalten wurden. Hört man da wieder den Ruf nach dem freien Markt?
Freier Markt bedeutet insbesondere nicht, Mensch und Natur für die Maximierung des Gewinns auszubeuten. Es bedeutet, langfristig weltweit für gerechte Löhne zu sorgen. Es bedeutet, langfristig weltweit für faire Produktionsbedingungen einzutreten und damit auch Deutschland wettbewerbsfähig zu halten. Es bedeutet mit den Strafzöllen zum Beispiel die heimische Landwirtschaft zu fördern.
Für leicht verarbeitete Lebensmittel kann der Mehrwertsteuersatz bei sieben Prozent bleiben. Daran sind die Menschen gewöhnt. Alle anderen Lebensmittel werden mit 19 Prozent Mehrwertsteuer belegt zusätzlich der durch ihren Verzehr entstandenen Gesundheitskosten. Wie bei allem gilt auch hier das Verursacherprinzip. Wer den Schaden anrichtet, bezahlt für dessen Beseitigung.
Alle Lebensmittel produzierenden Unternehmen – gleich ober Konzern oder Nebenerwerbsbetrieb – legen ihre verarbeitenden Inhaltsstoffe offen. Deren Risikoanteil an den Zivilisationskrankheiten sind bekannt. Die Summe der risikobehafteten Inhaltstoffe stellt man die Summe der daraus resultierenden Krankheiten und der damit verbundenen Gesundheitskosten gegenüber, vom Arzt bis zur Reha. Alle Produzenten hochverarbeiteter Lebensmittel bedienen den Gesundheitsfonds anteilig ihrer verwendeten Inhaltsstoffe und daraus werden die Gesundheitskosten bezahlt. Das ist ein fairer Beitrag, den volkwirtschaftlichen Schaden durch die Verursacher zumindest in Teilen zu beheben.
Auszug aus dem Buch: Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik | Perspektiven, Spielregeln und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft der Spezies Mensch im schönsten Land der Welt – in Deutschland, Stefan Theßenvitz, 248 Seiten, 38 Euro. Im Webshop erhältlich: https://shop.thessenvitz.de/produkt/nachhaltigkeit-in-gesellschaft-und-politik/
© Abbildung erzeugt mit Hilfe von OpenAI, 2024, Stefan Theßenvitz