Wetten auf die Zukunft

Es liegt auf der Hand, die finanzielle Handlungsfähigkeit des Staates und der Kommunen sind stark eingeschränkt, sehr viel Geld ist fest gebunden an die Existenzsicherung von Millionen Menschen. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, wenn sich die Regierungen kreativer Methoden bedienen, um ihre Handlungsfähigkeit zu erhöhen, zum Beispiel indem sie Schattenhaushalte respektive Sondervermögen  kreieren, die in der Neuverschuldung nicht auftauchen.

Buchhalterisch betrachtet sind Sondervermögen Kreditverträge mit der Zukunft. Die im Sondervermögen eingestellten Gelder werden sofort ausbezahlt, der Kredit wird erst in der Zukunft fällig. Das erste Sondervermögen der Bunderepublik Deutschland aus dem Jahr 1953 war das European Recovery Program, das europäische Wiederaufbauprogramm, im Volksmund bekannt als Marshall Plan. In diesem Zuge wurde die KfW – die Kreditanstalt für Wiederaufbau gegründet. Die USA stattete den Marshall Plan mit sechs Milliarden DM aus und erließ Deutschland in den späten 1960er den Großteil seiner Schulden.

Mit Stand Februar 2024 arbeitet Deutschland neben dem offiziellen Haushalt mit 29 Sondervermögen und darunter finden wir höchst kreative Lösungen wie den FMS – Finanzmarktstabilisierungsfonds zur Abfederung der Finanzkrise, der neben Einnahmen aus den Beteiligungen knapp 23 Milliarden Euro Schulden aufweist.

Die Sondervermögen erhalten der Regierung die investiven Gestaltungsmöglichkeiten, sie sind Verträge mit einer erwünschten Zukunft – zum Beispiel der KTF – Klima- und Transformationsfonds aus dem Jahr 2011. Doch Sondervermögen sind auch immer Schulden, die irgendwann zurückbezahlt werden müssen. Der Bundesrechnungshof  mahnt dringend an, sowohl die Anzahl als auch den finanziellen Umfang der Sondervermögen zu reduzieren.

Im Jahr 2023 umfassten diese mit knapp 870 Milliarden Euro fast das doppelte Volumen des offiziellen Bundeshaushalts. Das ist insofern gefährlich, als rund 90 Prozent der Sondervermögen kreditfinanziert sind. Der Bundesrechnungshof empfiehlt deshalb auch den passenderen Begriff der Sonderschulden.

Nehmen wir die erwartbaren stark steigenden Kosten für die Renten der Boomer in den kommenden Jahren hinzu zuzüglich der nachkommenden Generation der Geringverdiener, deren Anteil auf Grund des gesetzlichen Mindestlohns zwar stetig sinkt , doch rund gerechnet immer noch jeden sechsten Arbeitsplatz betrifft. Diese Menschen landen bei Renteneintritt in der Grundsicherung und damit wieder im Topf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.

Eine Fortschreibung dieser Situation in den kommenden Jahren wird sich wie folgt gestalten: Die Ausgaben des Staatshaushaltes für Renten und Grundsicherung werden nominell und in Prozentanteilen steigen, die Handlungsfähigkeit im offiziellen Bundeshaushalt wird weiter sinken, in diesem Zuge verlagert der Staat seine Gestaltungsmöglichkeiten immer mehr in Wetten auf die Zukunft, sprich in Sondervermögen.

Auszug aus dem Buch: Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik | Perspektiven, Spielregeln und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft der Spezies Mensch im schönsten Land der Welt – in Deutschland, Stefan Theßenvitz, 248 Seiten, 38 Euro. Im Webshop erhältlich: https://shop.thessenvitz.de/produkt/nachhaltigkeit-in-gesellschaft-und-politik/

© Abbildung erzeugt mit Hilfe von OpenAI, 2024, Stefan Theßenvitz