Schlagwort: Flexibilisierung

Geld macht gierig und dumm

Eine gemeinsam getragene Idee von Zukunft mit Strahlkraft findet sich nicht im Deutschland des Jahres 2024. Niemand formuliert die große Idee, sie existiert nicht. Nehmen wir die menschliche Hand. Auf Lateinisch heißt die Hand Manus. Aus Manus leitet sich das Management ab, das organisierte Handeln, mit dem wir Menschen die Dinge entwickeln, regeln und ordnen, kurz: das Machen.

Und was machen wir? Die einen kleben ihre linken Hände auf dem Asphalt fest, am rechten Rand zuckt die dort hängende Hand immer selbstbewusster zackig auf Augenhöhe und alle, wirklich alle halten sie auf, die Hände – für Subventionen, Zuschüsse und Fördermittel, für Kinder, Ausbildung, Wohnen und Energie, für so gut wie jeden Lebensbereich und Lebensumstand findet sich ein staatlicher Topf. Mehr als jeder dritte erwirtschaftete Euro in Deutschland fließt mittlerweile in das Sozialbudget. Je nach Berechnungsgrundlage sind zwischen acht und zwölf Prozent der in Deutschland lebenden Menschen auf dessen existenzsichernde finanzielle Hilfe angewiesen. Gleichzeitig wachsen die Ansprüche an staatliche Transferleistungen immer mehr an.

Jede noch so kleine gesellschaftliche Gruppe formuliert immer ausgefeiltere Forderungen mit dem Hinweis auf eine und wenn auch noch so geringe Benachteiligung gegenüber einer anderen Gruppe. Das Verrückte an der sich nach oben schraubenden Transferleistungsspirale ist: im Ringen um möglichst viel Gerechtigkeit verschwindet diese zusehends. Gerechtigkeit wird zunehmend als Verteilungsgerechtigkeit und insbesondere als unterlassene Hilfe verstanden, auf die man einen gerechtfertigten Anspruch hat. Das ist ein Irrtum. Neben diesem wachsenden Anteil der Transferleistungsempfänger wachsen auch die nicht staatlichen Unterstützungen an, allein die Zahl der Tafeln ist seit ihrer Gründung mit der ersten Tafel 1993 in Berlin auf knapp 1.000 in Deutschland angestiegen.

Die Menschen mit Geld zu sedieren und sie dem System gewogen zu machen, scheint nicht besonders gut zu funktionieren. Eine qualifizierte Minderheit hat sich komplett aus der demokratischen Mitwirkungspflicht verabschiedet. Spöttisch könnte man sagen, die Nichtwähler bilden die größte Gruppe in unserer Demokratie. Die Chancen, es aus eigener Kraft nach oben – was auch immer das für den Einzelnen sein mag – zu schaffen, werden flächendeckend seit Jahrzehnten als immer geringer werdend empfunden. Die bittere Wahrheit ist, am Ende sind in vielen Fällen eben doch das Elternhaus, das Erbe und die richtigen Kreise die entscheidenden Faktoren, um es nach oben zu schaffen. Die richtigen Beziehungen sind wichtiger als Fleiß und Talent.

Diese gesellschaftlichen fatalen Entwicklungen fußen auf der Ökonomie des ungezähmten Feuers. Das große Versprechen des Neoliberalismus und seiner propagierten kompromisslosen Leistungsgesellschaft, in der jeder alles aus eigener Kraft erreichen kann, hat sich für die meisten Menschen nicht erfüllt.

Die Öffnung der Märkte, das Zurückdrängen des Staates, die Privatisierung von Volkseigentum und die Flexibilisierung der Lebensentwürfe erzeugen immense Folgekosten, die den Staat in die Rolle eines dauerhaft überforderten Rettungssanitäters zwingt, der allein einer Massenkarambolage auf der Autobahn gegenübersteht.

Der Neoliberalismus zerstört nicht nur unsere offene Gesellschaft und seine sozialen Grundlagen, er zerstört auch mit Besorgnis erregender Geschwindigkeit die ökologischen Lebensgrundlagen für die Spezies Mensch.

Auszug aus dem Buch: Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik | Perspektiven, Spielregeln und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft der Spezies Mensch im schönsten Land der Welt – in Deutschland, Stefan Theßenvitz, 248 Seiten, 38 Euro. Im Webshop erhältlich: https://shop.thessenvitz.de/produkt/nachhaltigkeit-in-gesellschaft-und-politik/

© Abbildung erzeugt mit Hilfe von OpenAI, 2024, Stefan Theßenvitz

Neoliberalismus – Fatale Folgen II – Der Fluch der Pädagogik

Der Neoliberalismus ist im Kern die Ideologie der Flexibilisierung. Denn wenn jede Bindung, jeder Mensch und alle Dinge jederzeit in Windeseile aufgelöst werden und neu kombiniert werden können, dann ist das für die Wirtschaft optimal. So entstand die Just-In-Time Lieferung mit der Autobahn als Zwischenlager, so entstanden Zeitarbeitsverträge, so entstand auch die Sucht nach der Immer-Alles-Sofort-Verfügbarkeit via Amazon.

Natürlich müsste man begleitend zur Flexibilisierung die technischen Systeme anpassen: den Güterverkehr auf die Schiene oder auf die Flüsse und Kanäle bringen, den öffentlichen Nahverkehr ausbauen, Arbeit und Wohnen wieder näher zusammenbringen, die digitale Infrastruktur ausbauen um analoge Prozesse digital zu lösen. Sie merken es schon: das wären nebenbei gesagt auch sehr wirksame und handfeste Maßnahmen, die Treibhausemmissionen signifikant zu reduzieren. Doch das KOSTET GELD.

Ebenso kostet es Geld (und Hirn), die Systeme in Behörden, Institutionen und Betrieben gleichzeitig flexibel und robust zu gestalten, um menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu schaffen.

Menschen manipulieren spart Geld

Wesentlich günstiger ist es, stattdessen am Menschen rumzufummeln. Der Mitarbeiter soll seine familiären Bindungen zu Gunsten seiner ortsungebundenen Verfügbarkeit auflösen, er soll an sich arbeiten, bestenfalls lebenslang lernen (was für eine schreckliche Drohung), er soll teamfähig und kritikfähig sein (360-Grad-Feedback vernichtet Selbstachtung und Würde), er soll an seiner Performance arbeiten und sich professionellen Coachings ergeben, die geschickt fragend jedes Problem an den Mitarbeiter redelegieren. „Wenn Du ein Problem hast, dann ist das Dein Problem.“

Diese Manipulationsmaschinerie wird befeuert von dem überbordenden Berufsstand der Erzieher und Pädagogen, die professionell das Lied ihrer Herren anstimmen und von Selbstermächtigung, Resilienz, der Stärke schwacher Bindungen, von Patchwork-Biografien und Living-apart-together Lebensmodellen faseln, über Work-Life-Balance und Quality Time schwadronieren und alles über Kinder wissen (gerade, wenn sie keine Kinder haben) und dass Kinder stärker werden, wenn sie früh Verlusterfahrungen machen, z.B. die arbeitende Mutter vermissen und statt dessen hin- und hergeschubst werden zwischen KiTa und Tagesmutter und dort betreut werden von pädagogischem Personal mit Liebesersatz-Dienstleistungen.

Wer seine Instinkte negiert, findet Anerkennung

Und die Mitarbeiter? Sie ergeben sich zwischen Verwirrung und Ratlosigkeit leise seufzend den Heilsversprechen der modernen Welt. Das instinktiv schlechte Gewissen wird kognitiv überlagert. „Das sind ja schließlich Profis und so viele Möglichkeiten – z.B. Chinesisch in der KiTa – können wir unseren Kindern nicht bieten“. Das Resultat? Die Eltern können mental und emotional sediert ihre Zeit für die Arbeit im Betrieb aufwenden, sie erhalten neben Geld auch gesellschaftliche Anerkennung und die Kindererziehung ist outgesourct.

Der perfekte Mitarbeiter ist flexibel und verfügbar und damit ein reibungslos funktionierender Baustein, der je nach Lage der Dinge flugs verschoben werden kann. Tja, und wenn der Mitarbeiter damit unglücklich ist? Das ist sein Problem (siehe oben) doch die Knechte des Neoliberalismus – die Pädagogen und Erzieher – werden ihm schon helfen, an sich zu arbeiten.

Ja, das ist bitter, doch wo ist der Ausweg?

Meine Empfehlungen für Arbeitgeber

Beenden Sie den neoliberalen pädagogischen Manipulationswahnsinn. Sofort. Bringen Sie die klügsten Köpfe Ihres Unternehmens zusammen, um menschenfreundliche Systeme zu schaffen. Es macht keinen Sinn, an den Menschen rumzufummeln. Nicht die Menschen sind schlecht (zumindest die meisten), sondern schlechte Systeme begünstigen schlechtes Verhalten.

Meine Empfehlungen insbesondere für jungen Menschen

Achten Sie auf Ihr Gefühl. Was ist Ihnen wirklich wichtig? Wofür lohnt es sich, sich richtig ins Zeug zu legen? Wo sind Ihre Kraftquellen? Werden Sie hellhörig, wenn Ihnen abstrakte Versprechen gemacht werden. Hüten Sie sich vor professionellen Methoden, die Ihnen Glück versprechen. Weisen Sie Ratgeber zurück, die Ihnen ungefragt in Ihren Lebensentwurf reinquatschen.

Sehen Sie sich genau die Vita Ihres Ratgebers an. Entscheidend ist nicht, was jemand sagt. Entscheidend ist, wie er lebt. Und dann entscheiden Sie, ob Sie diesen Rat annehmen wollen. Und weisen Sie entschieden übergriffige Kritik zurück, die ihre Probleme mit der Welt (mit Ihrem Betrieb) in ein Problem Ihrer falschen Einstellung verwandeln.

Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ (Theodor W. Adorno). Das gilt auch für falsche nationalökonomische Systeme und falsche betriebliche Systeme.

Herzlich willkommen im Club der klaren Denker und kraftvollen Macher,

Ihr Stefan Theßenvitz