Schlagwort: Spaltung

Mit Vollgas in die selbstgemachte Hölle

Anbei eine unvollständige Stichwortliste der anstehenden, wichtigen und dringenden Themen in Deutschland: Krieg in Europa, Facharbeitermangel, marode Bundesbahn, mangelhafte Digitalisierung, verschlissene Infrastruktur, misslungene Privatisierungen öffentlicher Dienstleistungen und Erosion derselben, Bildungskrise ab der Grundschule, misslingende Integration der Flüchtlinge, ökonomische und soziale Spaltung der Gesellschaft, virulent werdende Folgen des Klimawandels, Pflegenotstand, überbordende Bürokratie, Wohnungsknappheit, die weltweit nahezu unerreichte Last der Steuern und Abgaben, Demokratieverdrossenheit und der Ruck vieler nach rechts. Genügen die Rückgabe eines Fischernetzes, ein Industriestrompreis, Wachstumschancen per Gesetz und Cannabisstauden im Garten den anstehenden Herausforderungen?

Die Politik hat ihre gestaltende Kraft entlang den Herausforderungen der Zeit weder entwickelt noch genutzt. Das Auseinanderstreben der Kräfte ist stark, die Überbelastung der Statik ist hoch. Das Tempo des beachtlich vorangeschrittenen Verfalls beschleunigt sich. Die abwärts zerrenden Kräfte haben eine aus sich selbst herauswachsende Dynamik erzeugt, die – und das ist sicher – nicht mit sporadischer Flickschusterei und Symbolpolitik abgemildert oder gar umgekehrt werden kann.

Tatsache ist, die Politik versagt, sie knickt ein vor den Aufgaben, sie ist verzagt, kraftlos, mutlos und ideenlos. Die Politik bringt keine kraftvoll gestaltende Mehrheit hinter sich. Es sei kurz umrissen, was die Aufgaben der Politik sind, woraus sie ihre Daseinsberechtigung zieht. Politik trifft verbindliche Entscheidungen auf der Grundlage der ihr in freien Wahlen zugewiesenen Macht. Macht ist, präziser gefasst:

„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“ GG, Art 20, (2).

Die Politik vereint die Inhalte, Strukturen und Prozesse, um das öffentliche und private Gemeinwesen zu ordnen, zu gestalten und zu entwickeln. Im Zentrum der Politik stehen gleichgewichtig die Verteilung von materiellen und immateriellen Werten. All das kulminiert im Amtseid jedes Bundeskanzlers und jedes Bundesministers:

„Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. (Nach Bedarf um die religiöse Beteuerung ergänzt:) So wahr mir Gott helfe.“ GG, Art 56, (2)

Der Nachweis scheint erbracht, die aktuelle Politik ist den Herausforderungen der Gegenwart und einer gedeihlichen Zukunft nicht gewachsen. Meine Prognose: Der daraus resultierende Zerfall des Gemeinwesens wie der Gesellschaft, die ruinöse ökonomische und ökologische Verfasstheit sind so weit vorangeschritten, dass Reparaturen keinen Sinn mehr ergeben. Das bestehende System zerfrisst sich aus sich selbst heraus. Der Zusammenbruch der Lebensverhältnisse in Deutschland ist ein wahrscheinliches Szenario.

Eine umfassende Erneuerung unseres politisch verfassten Gemeinwesens tut not. Wir müssen unsere Gesellschaft und Politik neu erfinden. Mit tragfähigen Werten, einer Idee mit Strahlkraft für eine gute Zukunft, mit dem Mut zur Tat und dem Mut, das zu zerstören, was uns zerstört. Wir brauchen eine neue Vereinbarung. Wir brauchen Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik. Wir brauchen eine neue Idee, ein neues Ziel. Wir brauchen ein neues, nachhaltig funktionierendes System.

Auszug aus dem Buch: Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik | Perspektiven, Spielregeln und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft der Spezies Mensch im schönsten Land der Welt – in Deutschland, Stefan Theßenvitz, 248 Seiten, 38 Euro. Im Webshop erhältlich: https://shop.thessenvitz.de/produkt/nachhaltigkeit-in-gesellschaft-und-politik/

© Abbildung erzeugt mit Hilfe von OpenAI, 2024, Stefan Theßenvitz

Gleichheit in Verschiedenheit

Alle Menschen sind gleich. Jeder Mensch ist einzigartig. Alle Menschen wollen gut leben. Jeder Mensch hat ein Recht auf Selbstbestimmung. Diese Sätze sind so simpel wie wohlfeil und leider ist die Wirklichkeit nicht so. Die Ungleichheit in Deutschland zwischen Männern und Frauen ist Alltag. Frauen leisten erheblich mehr unbezahlte Pflege- und Hausarbeit als Männer. Immer noch arbeiten deutlich weniger Frauen als Männer in Führungspositionen.

In Deutschland erhalten Frauen laut Oxfam nur knapp 80 Prozent der Bruttostundenlöhne im Vergleich zu Männern, Frauen erreichen im Verlauf ihres Lebens 49 Prozent weniger Gesamterwerbseinkommen, ihr Rentenniveau erreicht nur 47 Prozent der Rentenzahlungen an Männer. Es verwundert, warum es in der Lebenspraxis so schwer ist, umstandslos zumindest die Gleichheit bei Löhnen und Gehältern herzustellen. Wo ist das Problem?

Das Ziel 5 der 17 SDG formuliert das Ziel: Geschlechtergleichstellung erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen. Doch ich denke, Gleichheit in Verschiedenheit reicht weiter. Eine nachhaltige Gesellschaft braucht die Verschiedenheit der Menschen und ihrer Talente und nur in einem fairen, offenen Austausch entstehen Respekt und Anerkennung für die Fähigkeiten des anderen.

Dazu gehört selbstverständlich eine gerechte, an die Leistung gekoppelte Honorierung. Dazu gehört selbstverständlich eine neue Vereinbarung, den Wert von Arbeit neu zu bemessen. Der Wert von Arbeit bemisst sich in erster Linie am Dienst an der Gemeinschaft, an der Verbesserung der Lebenswirklichkeit der Menschen, am Beitrag zur Wohlfahrt und am Fortschritt. Innerhalb der neuen Vereinbarung müssen zum Beispiel Pflege- und Heilberufe deutlich besser bezahlt werden – weil sie es wert sind. In diese Wertigkeit der Arbeit schließe ich ausdrücklich die Männer und Frauen ein, die mit der Erziehungsleistung ihrer Kinder weit über ihr privates Familienglück hinaus einen beachtlichen Teil für das Wohlergehen der Gesellschaft leisten.

Auch hier sei gefragt: Wo ist das Problem, diese Leistung für die Gemeinschaft anständig zu honorieren? All diese Überlegungen liegen seit Jahren offen auf dem Tisch und es ist müßig, hier in die Tiefe zu gehen. Ändert es einfach, und zwar sofort, denn es ist einfach und es gibt keinen Grund – außer den der Ausbeutung und dem Profit weniger – der eine umstandslose Änderung verhindert.

Wenn Investoren von Kliniken das Gesundheitssystem dominieren und ihr Geschäftszweck ist die Gewinnmaximierung, dann erhalten wir als Ergebnis ein System der Ausbeutung. Wenn jede Klinik an der Präventionsarbeit und am Wohl der Patienten orientiert wäre, dann erhalten wir als Ergebnis ein System des Gemeinwohls. Es ist immer die Vereinbarung, die ein gewünschtes Ergebnis erzeugt.

Auszug aus dem Buch: Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik | Perspektiven, Spielregeln und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft der Spezies Mensch im schönsten Land der Welt – in Deutschland, Stefan Theßenvitz, 248 Seiten, 38 Euro. Im Webshop erhältlich: https://shop.thessenvitz.de/produkt/nachhaltigkeit-in-gesellschaft-und-politik/

© Abbildung erzeugt mit Hilfe von OpenAI, 2024, Stefan Theßenvitz

Leben und leben lassen

Ich will zum Thema Gleichheit in Verschiedenheit einen anderen Aspekt aufgreifen, der sehr stark zur Ungleichheit, Spaltung und Ausgrenzung führt. Triggerwarnung: In den kommenden Absätzen geht es jenseits des normativen Diskurses um Sexualität, um Rassismus, um Diskriminierung und um Ausgrenzung. Wer sich vor einer anderen Perspektive zu diesen Themen schützen möchte, der springe bitte gleich zum nächsten Kapitel und bleibt dem Muster treu, Haltung zu bewerten, statt Sachverhalte zu beleuchten.

Der gesellschaftliche Diskurs in Deutschland rund um die Gleichstellung ist falsch abgebogen. Wir kümmern uns zu Recht um faktenbasierten Rassismus, um Diskriminierung und um Ausgrenzung aus der Gemeinschaft. Es ist vollständig egal, wer welche Menschen in welcher Art und Weise begehrt – sofern es das Selbstbestimmungsrecht anderer Menschen nicht verletzt, in welchem Körper man sich geboren fühlt, wo man herkommt, was man isst, wie viele Kilos man auf die Waage bringt und wie alt man ist.

Es ist vollständig egal, ob sich eine in den 70ern befindliche lesbische Schauspielern ins Rampenlicht stellt oder ein heteronormativer Mittdreißiger. Wenn die Show gut ist, dann ist sie gut. Wenn die Show schlecht ist, dann ist sie schlecht. Wenn die in den 70ern befindliche lesbische Schauspielerin ihr Alter und ihre sexuelle Orientierung ins Zentrum ihrer Performance stellt und daraus den Anspruch ableitet, allein dafür für gut befunden werden zu müssen, bitte schön. Ebenso wenig möchte ich dem heteronormativen Mittdreißiger am Bildschirm beiwohnen, wir er mit seinen sexuellen Eroberungen prahlt und allein daraus Ansprüche ableitet. Wenn es gut gemacht ist, mit Selbstironie, Mutterwitz und scharfen Pointen, dann kann ich mir all das gut vorstellen.

Mein Vorschlag zur Güte: jede Lebensausformung (Hetero-Homo-Divers-Queer) soll ihre eigenen Sehnsuchtsorte schaffen und nicht die Sehnsuchtsorte der anderen stürmen. Die nicht zuletzt mediale Okkupierung durch Minderheiten gleich welcher Art und ihrem Anspruch, eine herbeifabulierte Mehrheit müsse sich dem jetzt aussetzen führt zu Ablehnung und Ausgrenzung. Die Welt ist groß genug, dass jede und jeder die passende Nische findet und sie ist groß genug, dass wir alle darin Unrecht haben dürfen (frei nach Arno Schmidt).

Die Vereinbarung einer nachhaltigen Gesellschaft lautet: Gleichheit in Verschiedenheit, Würde und Respekt für jeden Menschen, Einhaltung der Spielregeln und durch Leistung erworbene Anerkennung und Privilegien.

Es ist sehr schade, dass sich der vermeintliche aufklärerische Diskurs um das Gegenteil dreht – um Ausgrenzung und um Diskriminierung. Der aktuelle Diskurs führt zur Spaltung der Gesellschaft in atomisierte Minderheiten, die jede für sich eine Opferrolle reklamiert, eine herausgehobene Aufmerksamkeit und Wiedergutmachung fordert, am besten in Form von Fördermitteln und Ausgleichzahlungen.

In dunkler Stunde schwebt mir manchmal das bewährte Prinzip des Teilen und Herrschens in den Sinn – Divide et Impera. Denn im Streit miteinander liegende kleine Gruppen sind deutlich leichter manipulierbar und beherrschbar als eine große Gruppe, die gemeinsame Interessen durchsetzt – zum Beispiel so simple Forderungen wie gleicher Lohn für gleiche Arbeit oder die nicht ganz so simple Forderung, die Gemeinschaft aller Menschen entlang den Prinzipien der sozialen Nachhaltigkeit weiterzuentwickeln. Wem nützt es – cui bono? Immer den Akteuren, die aus der Spaltung Profit schlagen, zum Beispiel durch das geschickte Ausspielen medial marginalisierter Gruppen gegeneinander.

Auszug aus dem Buch: Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik | Perspektiven, Spielregeln und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft der Spezies Mensch im schönsten Land der Welt – in Deutschland, Stefan Theßenvitz, 248 Seiten, 38 Euro. Im Webshop erhältlich: https://shop.thessenvitz.de/produkt/nachhaltigkeit-in-gesellschaft-und-politik/

© Abbildung erzeugt mit Hilfe von OpenAI, 2024, Stefan Theßenvitz